Adam Szymczyk und Elena Filipovic im Katalog zur 5. Berlin Biennale

Auf beiden Seiten der durch Berlin verlaufenden historischen Trennlinie gelegen, repräsentieren die Hauptveranstaltungsorte der Biennale typologisch entgegengesetzte Bedingungen zur Präsentation von Kunst. Ihre jeweiligen Geschichten, die wiederum eng mit der jüngeren Geschichte der Stadt verwoben sind, liefern einen vielschichtigen ideologischen Kontext zum Verständnis der einzelnen Ausstellungsteile und der in ihnen gezeigten, in der Hauptsache eigens für die Biennale entstandenen Arbeiten. Diese Orte wurden von uns so ausgewählt, dass der Besucher zwangsläufig durch Berlin wandert, jedoch nicht unbedingt zu solchen Bauten, deren Vergangenheit sich in der abblätternden Farbe ihrer Fassaden oder dem pittoresken Zerfallszustand ihrer Bausubstanz äußert. Stattdessen wollten wir mit durchaus unterschiedlichen Möglichkeiten der Präsentation von und Interaktion mit Kunstwerken arbeiten, die den jeweiligen Veranstaltungsorten angemessen sind. Die Vorstellung, einen Teil der Ausstellung in der 1968 von Mies van der Rohe vollendeten Neuen Nationalgalerie stattfinden zu lassen, war für uns dabei geradezu unumgänglich. Dieses Museum – heute ein Wahrzeichen der Stadt – ist ursprünglich als politische und ästhetische Antwort des früheren Westdeutschlands auf den Osten in Auftrag gegeben worden. Die weite, transparente, zur Umgebung hin geöffnete Ausstellungshalle widerspricht traditionelleren musealen Präsentationskonzepten, bei denen die Kunstobjekte isoliert und in fensterlosen (im besten Falle durch Oberlichter erhellten) Räumen eingeschlossen sind, eine Praxis, die später zur Vorherrschaft des White Cube als gängigem Ausstellungsraum führen sollte. Wenn auch kein weißer Kubus, so könnte Mies’ Glaskasten sich doch kaum mehr von jedem der anderen Biennale-Veranstaltungsorte abheben, etwa dem Loft-Charakter der im historischen Stadtkern gelegenen ehemaligen Margarinefabrik, die in den 1990er Jahren umgebaut wurde und seit mehr als einem Jahrzehnt als Ausstellungsbau der KW Institute for Contemporary Art, Organisator der berlin biennale, genutzt wird. Der dritte Schauplatz der Biennale, eine Lücke im Stadtbild, besteht aus seltsam geformten und verwilderten Freiflächen, die noch die Spuren ihrer Vergangenheit als Todesstreifen tragen, der um die Berliner Mauer herum verlief. Die neuerdings Skulpturenpark Berlin_Zentrum benannten Parzellen lassen sich als paradoxe Verwirklichung des Mies’schen Traums von einem unbegrenzt flexiblen Ausstellungs-Raum deuten. Nicht mehr Bau, handelt es sich hier buchstäblich um einen offenen Ausstellungs-Ort ohne Grenzen. Tatsächlich allerdings ist auch diese Fläche geteilt, aufgeteilt, wenn auch nicht durch Museumswände, sondern durch Zäune, welche die verschiedenen städtischen und privaten Grundstücke voneinander trennen, deren Besitzer so rasant wechseln, wie die Versprechungen hinsichtlich ihrer Zukunft sich im Dunst des Spekulationsbooms in Luft auflösen. Der kleinste Ausstellungsort der berlin biennale schließlich ist der Schinkel Pavillon, ein im Garten hinter dem Kronprinzenpalais befindlicher achteckiger Bau, der 1969 (ein Jahr nach Eröffnung der Neuen Nationalgalerie) von dem am Bauhaus ausgebildeten DDR-Architekten Richard Paulick entworfen wurde. Dieser irrationale sozialistische Prunkbau gibt sich als Rekonstruktion eines existierenden Bauwerks aus, ist aber tatsächlich eine reine Neuerfindung. Der Pavillon, eine außerhistorische Bricolage, ist eine Mischung aus DDR-Moderne und einem Spiel mit der universellen Sprache neoklassizistischer Architektur in Deutschland, die im 19. Jahrhundert von eben jenem Karl Friedrich Schinkel kodifiziert wurde, dessen Klarheit und Ordnung betonendes Werk Mies, den Architekten der radikalen Moderne, wesentlich beeinflusste.

 

Das fünfte Element der Ausstellung, unser, wenn man so will, zeitlich fünfter Hauptausstellungsort, nimmt die Nächte in Anspruch. Dem herrschenden Prinzip absoluter Sichtbarkeit widersprechend, trägt unsere sogenannte „Nachtausstellung“ Mes nuits sont plus belles que vos jours (Meine Nächte sind schöner als deine Tage) eine andere Zeitlichkeit und Topografie zur Biennale bei: Sie besteht aus über sechzig Veranstaltungen mit Diskussionen, Performances, Workshops, Konzerten, Filmvorführungen und anderen Aktionen. Diese Veranstaltungsreihe, deren Titel einem Erotikthriller von Andrzej Żuławski aus den 1980er Jahren entlehnt ist, geht von der Überzeugung aus, dass sich Wissen über andere Methoden als das konventionelle Vortrags- oder Ausstellungsformat produzieren lässt. Wir wollten mit dieser Reihe KünstlerInnen und DenkerInnen aus verschiedenen Bereichen, die wir aufforderten, neue Arbeiten zu produzieren, bestehende neu zu bearbeiten sie vor anwesendem Publikum zu besprechen oder zu interpretieren, die Gelegenheit zum Experimentieren und zur Präsentation verschaffen. Ausgehend von der Idee einer Ausstellung als Behälter für die an einem Ort über einen bestimmten Zeitraum fixierte Gegenwart der Kunstwerke, setzt sich Mes nuits sont plus belles que vos jours aus sich gegenseitig steigernden flüchtigen Erfahrungen zusammen, die allnächtlich während der gesamten Dauer der Biennale über die Stadt verteilt sind. Die KünstlerInnen und DenkerInnen, die im Rahmen des Nachtteils der Ausstellung eher auftauchen, als dass sie dort Dinge ausstellen würden, präsentieren flüchtige performative Gesten, die entweder eine Erweiterung oder aber eine Komplikation ihrer regulären künstlerischen Praxis darstellen. Demnach wird es bei Mes nuits sont plus belles que vos jours um eine während der Dauer der Biennale im Entstehen begriffene Ausstellung gehen, die sich vielleicht nur kollektiv begreifen lässt und tatsächlich überhaupt erst in dem Augenblick als Ausstellung fassbar wird, da der Veranstaltungszyklus selbst abgeschlossen und aus dem Blickfeld gerückt ist.

 

 

 

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5. Berlin Biennale. Katalog

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