ADRIAN LOHMÜLLER

Künstler, Berlin

Berlin ist randvoll mit spontanen Initiativen. Kunstkuratoren klettern durch Mauerspalten in verlassene Häuser, leere Lofts, Off-Örtlichkeiten und kommerzielle Galerien, um eine Gruppenausstellung nach der anderen rauszuhauen. Die beteiligten Künstler liefern ihre Werke selbst, installieren sie selbst und holen sie auch ab. Sie zahlen sogar für die Getränke am Abend der Eröffnung, der zugleich Finissage ist. Mit ihrem Tempo und ihrer Unabhängigkeit erwecken solche Ausstellungen den Eindruck, die ephemeren Energien eines Konzertes einzufangen. Aber sie laufen auch Gefahr, sich in den Grenzen einer Eventkultur zu bewegen, bei der eine gelungene Party schnell die Bedeutsamkeit der Werke überschattet.

 

Auch Ausstellungen mit kritischem Schwerpunkt, inhaltlicher Konzentration und einer kleineren Auswahl teilnehmender Künstler werden oft in sehr ähnlicher Weise organisiert. Die überwältigende Masse an künstlerischer Produktion hat eine enorme Dynamik erzeugt, mit der die Institutionen schon lange nicht mehr mithalten können. Mit gebrochenen Beinen humpeln sie hinterher, bieten stattdessen eine hochwertige Auswahl der wenigen, die »es geschafft« haben. Man sollte eigentlich meinen, dass ihre Kuratoren und Direktoren samt deren Assistenten und Geldgebern durch die Ruinen, Korridore oder hell erleuchteten Räume sausen und sich aalen in den Fruchtkörben, die vor ihnen ausgeschüttet werden.

 

Vor Kurzem haben wir erlebt, dass Kuratorenteams und Kuratoriumsassistenten für ein Projekt, das die Kunstproduktion in dieser Stadt repräsentativ darstellen soll, in die entlegensten Ateliers ausschwärmten. Berlin braucht Institutionen mit dem finanziellen Rückhalt, um eine gründliche Weiterentwicklung solcher Initiativen zu ermöglichen, ohne diese in schale Konventionen zu zwängen. Die eigentliche Herausforderung besteht in genau dieser Übersetzungsarbeit. Berlins niedrige Mieten und Lebenshaltungskosten locken so viele Künstler aus aller Welt zum Leben und Arbeiten in die Stadt. Sie nähren einen gewaltigen Antrieb von unten. Wenn diese Stadt den Mut hätte, dieser Szene einen verlässlichen Resonanzboden zu bieten, könnte sie damit eine Riesenwelle der Kreativität lostreten.

 

 

Quelle: P/Act for Art: Berlin Biennale Zeitung

Shop
10. Berlin Biennale