CHRISTIAN DE LUTZ

Künstler, Ko-Direktor und Kurator, Berlin

Berlin ist zu einem interessanten Standort für die Kulturproduktion geworden, weil hier die Dinge im Fluss sind. Seit zwei Jahrzehnten ist die Stadt ein Treffpunkt für bildende Künstler aus aller Welt. Von einer Berliner Kunstszene zu sprechen, trifft die Sache jedoch nicht ganz. Stattdessen gibt es eine Koexistenz vieler Szenen, die oft nicht das Geringste von einander wissen. Künstler, Kuratoren, Galerien und nichtkommerzielle Orte kommen, florieren und verschwinden mit zunehmendem Tempo. In den vergangenen zehn Jahren hat Berlin seinen legendären Status als Zentrum der Kunst mit jeder dieser Veränderungen nur weiter ausgebaut.

 

Zwar ist der Kunstmarkt in Berlin nur ein armer Verwandter der Märkte in New York oder London, aber die niedrigen Mieten haben Legionen von Künstlern angezogen. Doch sind diese Mieten (die übrigens von Monat zu Monat steigen) eine Folge des relativen Mangels an Wohlstand und Arbeitsplätzen. Berlin ist zu einer Stadt der Kunstproduktion geworden, einer Stadt der Ateliers, die New Yorks Bedeutung als Stadt des Kunsthandels ergänzt. Wie in New York und London stehen die Berliner »Szenen« für die eklektische Vielfalt der späten Postmoderne. Unter Tausenden Künstlern und an Hunderten Veranstaltungsorten findet man jedoch nur wenig neue Medien, digitale Kunst oder Biokunst. Die transmediale ausgenommen, ist Berlin über 51 Wochen im Jahr praktisch Neue-Medien-freie Zone. Ein politisches Bewusstsein ist vorhanden, aber es folgt überwiegend den Traditionen und der Grammatik von 1968.

 

So ist es auch nicht überraschend, dass die Machtstrukturen innerhalb der Berliner Kunstwelt(en) so ziemlich im späten 20. Jahrhundert stecken geblieben sind. Die wichtigsten Ausstellungsräume »zeitgenössischer« Kunst stammen aus dem vergangenen Jahrhundert und sind eng mit einem ästhetischen Diskurs der 1990er-Jahre verbunden, der seinerseits die 1960er- und 1970er-Jahre weiterträgt. Sie vernachlässigen beispielsweise die Frage, wie neue Technologien bewirken, dass wir unsere Gesellschaft anders sehen, leben und ordnen. Wenn sich das Leben heute vom Leben des Jahres 1991 unterscheidet, so wird man dessen in einem Museum, einer Galerie oder einem Kunstverein Berlins kaum gewahr.

 

Die politische Elite Berlins hat offenbar erst vor Kurzem die Bedeutung Berlins als eines internationalen Zentrums der Kunst entdeckt. Die Ereignisse rund um based in Berlin und »Haben und Brauchen« zeigen, dass den zuständigen Politikern jegliche Kenntnis oder Neugier abgeht, denn sie haben based in Berlin an einen Repräsentanten der 1990er-Jahre delegiert, der anschließend Kurator am MoMA wurde. Sieht man vom Wahlkampf ab, lässt der Bürgermeister so gut wie kein Interesse an einem Dialog mit Künstlern erkennen. Am Ende hat die politische Elite wohl entschieden, dass sie aus der Kunstszene beziehungsweise den Kunstszenen ohne erhebliche Investitionen Vorteile ziehen kann. Ob die Kunstschaffenden an dieser Situation etwas ändern und andere unterstützende Strukturen finden können oder doch weiterziehen werden, ist eine Frage, die nur die Zeit beantworten kann.

 

 

Quelle: P/Act for Art: Berlin Biennale Zeitung

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