Gabriele Knapstein

Kunsthistorikerin und Kuratorin, Berlin

 

Zur Situation der zeitgenössischen bildenden Kunst

Berlin ist seit dem Fall der Mauer in der erfreulichen Situation, dass Künstlerinnen und Künstler aus allen Teilen Deutschlands wie auch aus dem Ausland in großer Zahl in diese Stadt übersiedeln, um hier vorübergehend oder langfristig zu leben und zu arbeiten. Damit ist Berlin als Kunstmetropole weltweit in den Fokus gerückt. Dennoch fehlt es in der Stadt an einer die verschiedenen Senatsverwaltungen übergreifenden Perspektive, wie grundlegende Rahmenbedingungen für künstlerisches Produzieren langfristig gesichert und verbessert werden können. Berlin verfügt zwar über eine solide und breit gefächerte Infrastruktur an Institutionen, die zeitgenössische Kunst präsentieren, aber es fehlen den vom Land Berlin finanzierten Institutionen Projektmittel, um kontinuierlich sorgfältig recherchierte, wegweisende Ausstellungen zu realisieren. Die Aktivitäten der in den vergangenen fünfzehn Jahren zunehmend professionalisierten und internationalisierten Galerienszene können diesen Mangel nicht kompensieren. Die zahlreichen Projekträume und Künstlerprojekte, die seit vielen Jahren einen entscheidenden Beitrag zur Förderung von Künstlerinnen und Künstlern leisten, können die weitgehend durch eigene Initiative finanzierten experimentellen Situationen stets nur für einen begrenzten Zeitraum aufrechterhalten.1

 

Mit der kulturpolitischen Initiative, zusätzlich zu den bestehenden Institutionen eine Kunsthalle zu etablieren, wurde Künstlerinnen und Künstlern eine weitere Auftrittsmöglichkeit in Aussicht gestellt, um so ihrem Beitrag zur Attraktivität der Stadt Rechnung zu tragen. Diese Initiative hat hartnäckige und lebhafte Diskussionen über die Situation von Künstlerinnen und Künstlern in Berlin, über »Haben und Brauchen« ausgelöst. Es wäre ein Rückschlag und eine vergebene Chance für die Kulturpolitik in dieser Stadt, wenn diese Diskussionen folgenlos blieben und die bisher in Form einer Kunsthalle in Aussicht gestellte zusätzliche Förderung ersatzlos gestrichen würde.

 

Entscheidend ist eine Bestandsaufnahme aller derzeitigen Fördermaßnahmen für zeitgenössische bildende Kunst inklusive einer Aufstellung der operativen Mittel, die den vom Land Berlin finanzierten Institutionen jenseits von Betriebs- und Personalkosten für Ausstellungsprojekte und Ankäufe zur Verfügung stehen. Auf dieser Grundlage sollte von der Kulturverwaltung in Zusammenarbeit mit einem Fachbeirat ein Positionspapier zur künftigen Förderung verfasst werden. Darin sollten gezielte zusätzliche Fördermaßnahmen mit nachhaltiger Wirkung und internationaler Ausstrahlung festgelegt werden (z.B. Finanzierung einzelner herausragender Ausstellungen zeitgenössischer Kunst mit Summen, die über die vom Hauptstadtkulturfonds bereitgestellten Mittel hinausgehen; Förderstruktur für Projekträume und Künstlerprojekte, die eine Arbeit über einen Förderzeitraum von jeweils einem bis maximal drei Jahren garantiert; Aufstockung der Katalogförderung; Erhalt von Ateliergebäuden und Sicherung des Atelierprogramms; Erhöhung der Ankaufsmittel für Kunst, die in Berlin entsteht; Förderstruktur für innovative interkulturelle Projekte und Austauschprojekte mit Osteuropa). Mehr als zwanzig Jahre nach dem Fall der Mauer sollte Berlin nicht darauf vertrauen, dass die Stadt auch ohne zusätzliche Anstrengungen ihre jetzige Bedeutung als Kunstmetropole erhalten kann.

 

1 Eine Auswahl von in den 1980er- und 1990er-Jahren aktiven Projekten ist beispielsweise auf der Webseite zur Ausstellung QUOBO. Kunst in Berlin 1989–1999 unter http://www.quobo.de auf den Archivseiten dokumentiert.

(Zugriff am 20. August 2011).

 

 

Quelle: P/Act for Art: Berlin Biennale Zeitung

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