Klaus Biesenbach, Hans Ulrich Obrist und Nancy Spector im Katalog der 1. Berlin Biennale

Das Konzept der berlin biennale hat viele Erwartungen geweckt. Historisch gesprochen, bietet eine internationale Biennale die Bühne zur Präsentation künstlerischer Auseinandersetzungen eines Landes und fungiert zugleich als werbewirksames Aushängeschild für die gastgebende Stadt. Die wirtschaftlichen Komponenten der Tourismusindustrie, die Präsenz auf höchster Ebene und die kulturelle Legitimität sind die treibenden Kräfte, um diese Art von Ausstellungen zu realisieren – ein Trend, der sich wohl auch bei der Gründung der Biennalen in Sydney, Taipeh, Kwanju, Johannisburg und Lyon weiterentwickelt hat und auch der wandernden zweijährigen Ausstellung junger europäischer Kunst, manifesta, zugrunde liegt. Da das Berlin nach 1989 – wiedervereinigt und demnächst Regierungssitz der Bundesrepublik Deutschland – bereits im Brennpunkt unzähliger Erwartungen und Projektionen stand, akzentuiert die Einrichtung einer internationalen Biennale für zeitgenössische Kunst zusätzlich diesen Hype. Von vielen interessierten Kreisen, Sammlern, Galeristen, Künstlern, Politikern und Journalisten, wurde die Stadt als zukünftige „kulturelle Hauptstadt“ bezeichnet. Dies wird sich zwar erst noch erweisen müssen, aber in jedem Fall ist der Wunsch nach einer solchen grundlegenden urbanen Erneuerung in der Unterstützung für dieses Projekt ein wesentlicher Grund.

 

Die Aufgabe, eine Biennale für Berlin zu konzipieren, war für uns Kuratoren nicht leicht. Es war uns von Beginn an klar, dass Ausstellungen dieser Art üblicherweise auch kommerzielle Unternehmungen sind und der nationale Gestus kaum verdeckt werden kann. Davon jedoch abgesehen, bietet Berlin eine Reihe außergewöhnlicher Herausforderungen. Seit dem Beginn unserer Zusammenarbeit 1996 präsentierte sich Berlin als eine Stadt im Umbruch – als eine Projektion jenseits der Realität. Denn als zukünftige Hauptstadt verspricht sie zwar, die ökonomischen, die sozialen und die kulturellen Entwicklungen zu forcieren – doch zu welchem Preis? Wieviel Vergangenheit muß ausradiert, wie viele Straßen und Plätze umbenannt, wie viele Menschen müssen umgesiedelt werden, um dem Traum einer Handvoll Mächtigen zu verwirklichen? Hier vermehren sich Widersprüche wie Metastasen. Während überall von Zukunft gesprochen wird und der Potsdamer Platz von Kränen wimmelt, entblößt die Art der städtischen Erneuerung den festverankerten Glauben an die preußische Vergangenheit.

 

Unser Vorschlag, eine Biennale durchzuführen, die, statt im zweijährigen Turnus, über die Dauer von zwei Jahren stattfinden sollte, war eine erste Antwort auf die paradoxe Situation. Dadurch sollte der temporäre Charakter dieser Stadt zum Ausdruck kommen, die nach vorne schaut, indem sie ihre Vergangenheit verschwinden lässt, und mit rückwärts gewandtem Blick ihre Zukunft ausschmückt. In der nicht-statisch konzipierten Ausstellung spiegelt sich ebenfalls unser Widerstand gegen die traditionelle Biennale – ein ordentlich zurecht gepacktes Unternehmen (das üblicherweise in den Spitzenzeiten der Tourismussaison stattfindet) – und sie kann als Versuch gesehen werden, die flüchtige Natur der vorherrschenden zeitgenössischen Kunst zu reflektieren. Aus diesen Gründen wurde die berlin biennale mit dem Hybrid WorkSpace auf der documenta X in Kassel bereits „eröffnet“. Bei der jetzt stattfindenden Ausstellung Berlin/Berlin geht um das heutige Berlin. Sie ist anti-futuristisch und anti-nostalgisch; sie verweist auf die vielschichtigen Topoi einer Stadt, die sich uns in den letzten beiden Jahren so präsentierte. Die weiteren Kapitel der berlin biennale werden zwischen 1998 und dem Jahr 2000 aufgeschlagen, wenn neue Kuratoren sich mit den Gegebenheiten dieser ewig ändernden Stadt und ihren wandelnden Darstellungen auseinandersetzen.

 

 

 

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