LEONIE BAUMANN

Rektorin Kunsthochschule, School of Art Berlin Weißensee

Kunst wird seit Jahren fast nur noch zur Imagesteigerung instrumentalisiert und auf einen zweifelhaften Wirtschaftsfaktor reduziert, anstatt sie in ihrer Eigenart als nicht kontrollierbare, subjektive und nicht funktionalen Kriterien folgende Notwendigkeit und als Be­standteil unseres Lebens zu akzeptieren.

 

Ein Kunstvertrag wird daran nichts ändern. Mit welcher Leistung sollten Künstler Innen sich in eine vertragliche Vereinbarung einbringen? Ihre ureigene Funktion, die Gesellschaft mit ihren Fantasien und künstlerischen Werken zu bereichern, können sie schlecht zur Disposition stellen. Sie sind in der Lage, Zukunft zu imaginieren und Anstöße zu geben, an denen wir uns reiben, die uns bereichern und zeitweise auch unverständlich bleiben. Da genau diese unkontrollier- und unvorhersehbaren Ideen ein notwendiger, ja geradezu existenzieller Bestandteil unserer Gesellschaft ist, muss es eine Selbstverpflichtung für jede Nicht-Künstlerin, jeden Nicht-Künstler sein, Künstler Innen ihr künstlerisches Arbeiten zu er­leichtern und zu ermöglichen – ohne wenn und aber!

 

Die Tatsache, dass KünstlerInnen existenzielle Probleme haben oder bekommen und so ihrer ureigenen gesellschaftlichen Funktion nicht mehr gerecht werden können, ist seit Jahrzehnten bekannt. Spätestens seit Erscheinen des ersten »Künstlerreports« zu Beginn der 1970er-Jahre hat sich nichts daran geändert, dass lediglich zwischen drei und fünf Prozent aller KünstlerInnen von der Produktion ihrer Kunst leben können (damals im Westen, heute in allen Bundesländern). Im Gegenteil, zwischenzeitliche Berliner Fördermodelle wie die »Soziale Künstlerförderung« wurden ersatzlos abgeschafft, und das neoliberale Gerede von der »guten« Kunst, die sich schon durchsetzen werde, führte zu einer allmählichen Entlassung der »Kleinunternehmer« in die Mechanismen des Kunstmarktes. KünstlerInnen konnten damit mehr schlecht als recht umgehen und haben auf vielfältige Weise trotzdem existieren und arbeiten können. Wenn sie nun aber für den »Stadtslogan« Berlins herhalten müssen und die Basis der Zukunftsvisionen dieser Stadt werden, ist verständlich, dass ihnen der Kragen platzt und sie ihren Anteil an dieser Erfolgsstory einfordern: bessere Förderung für eigenes Arbeiten und Projekte, Produktions- und Präsentationsräume.

 

Die Stadtpolitik hat daher aus den Erfahrungen der eigenen Geschichte und der anderer Städte Konsequenzen zu ziehen. »Eine Politik zum Reinhauen« (Arno Brandlhuber) überlässt dem freien Spiel der Kräfte jede Gestaltungsmöglichkeit: Wohnungsbaugesellschaften werden verkauft, die Liegenschaften werden meistbietend verhökert, die Kontrolle über Wasser und Energie outgesourct … Die größten VerliererInnen werden absehbar die ProduzentInnen aller Kultursparten sein, es sei denn, Berlin bekennt sich zu einer Neuformulierung urbaner Politiksteuerung, die Kunst und Kultur als integralen Bestandteil begreift und an den Interessen und Bedürfnissen der in Berlin lebenden Menschen (aus aller Welt!) orientiert ist. Mietpreisbindung, behutsame Stadterneuerung mit den BewohnerInnen und nicht gegen sie, Vergabe von Liegenschaften in Erbpacht an Kultur- und Kunstprojekte mit dem Ziel einer Mischnutzung von städtischen Arealen statt meistbietendem Verkauf, stärkere Kontrolle bei Umwandlung von Miet- in Gewerbenutzung, Maßnahmen gegen die Verdrängung alteingesessener Kleinbetriebe und -händlerInnen, Förderung zur kulturellen Entfaltung der in Berlin lebenden Bevölkerung mit ihren diversen Tradi­tionen und vieles andere mehr. Wenn die bewunderte und viel zitierte besondere kulturelle Atmosphäre Berlins erhalten und sogar weiter ausgebaut werden soll, dann brauchen wir keine Lippenbekenntnisse, sondern Taten und klare politische Vorgaben, sonst wird die künstlerische Kraft und Stärke dieser Stadt bald der Vergangenheit angehören.

 

 

Quelle: P/Act for Art: Berlin Biennale Zeitung

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