Matthias Flügge

Kunsthistoriker, Berlin

Die Fragen, die Sie ansprechen, gehen am Thema ein wenig vorbei. Was aber ist das Thema? Das Thema ist die generelle Krise der Kunst, die an Überforderung zugrunde zu gehen droht. Im allgegenwärtigen Versagen politischen Handelns, in der durchgängigen Ökonomisierung des öffentlichen Lebens, in der verheerenden Spaltung der Gesellschaft in Besitzstandswahrer und Besitzlose, in den überbordenden Schwärmen von nutzlosen Informationen, die das Wesentliche zur Unkenntlichkeit verwässern, im Versagen intellektueller Instanzen und im Trübsinn institutioneller Überlebenskämpfe soll die Kunst Orientierung geben? Sie soll sich »einmischen«? Wie soll das gehen? Wer sich einmischt, wird Teil der Mixtur, amalgamiert in eine klebrige Suspension von Interessenslagen, die auf alles mögliche gerichtet sind – nur nicht auf die Kunst. Für die Bewahrung der Demokratie, wirklich das Wichtigste, was zurzeit auf der Tagesordnung steht, sind wir alle verantwortlich – als Bürger. Die Kunst hat damit nichts zu tun. Sie ist vom Wesen her nicht demokratisch und braucht auch die Demokratie nicht, um zu blühen. Die Diktatur allerdings ist ihr natürlicher Feind. Auch die Diktatur der Wohlmeinenden, der Politiker, die sie durch Umarmung abwürgen, der Kuratoren, die alle erhaschbaren Zipfel der Macht aussaugen, der Sammler, die die Konzepte handlungsunfähiger Museen beeinflussen, und eines Publikums, für das die Kunst zum Fetisch eines verantwortungsfreien Lebensstils geworden ist. Es ist keine notwendige Bedingung, dass die Kunst im Konflikt mit der Gesellschaft steht, aber das kann ihr helfen, sich zu befreien. Sie muss sich freimachen von Anforderungen und Erwartungen und vor allem von dem Glauben, es gäbe eine gesellschaftliche Verpflichtung zu ihrem Erhalt. Oder gar zu ihrem Unterhalt. In einer Gesellschaft, deren Grundgesetz die Konkurrenz ist, muss die Kunst ihre Notwendigkeit nachweisen. Und zwar durch Ideen und Werke, die den Geldverkehr übersteigen – ohne ihn zu ignorieren, versteht sich. Aber wer oder was ist eigentlich »die Kunst«, die wir so fraglos zum Subjekt zu machen gewillt sind. Kunst ist das, was wir dafür halten. Wir? Ehedem hatten sogenannte »Experten« die Deutungshoheit. Seitdem die Experten viel Geld mit falschen Expertisen verdienen, hat sich die Bevölkerung der Sache angenommen und den Kunstbegriff massenhaft popularisiert. Wertebildende Instanzen wurden dabei nivelliert. Die in der bürgerlichen Gesellschaft herausgebildete Konstellation, in der Künstler, Galeristen, Kritiker, Museen, Käufer und Publikum weitgehend unabhängig voneinander agierten und im Ergebnis eines breiten Diskurses Kriterien ausbildeten, ist in sich zusammengebrochen. Nicht mehr Kennerschaft, Risiko, Mut, intellektuelle Kraft oder finanzielles Engagement als uneigennütziges Mäzenatentum zählen. Nur noch die Bilanz in der Währung der Selbstdarstellung. So rechnet auch Herr Wowereit, was nicht verwundert, denn in der Stadt der Parvenues muss der Oberbürgermeister auch der Oberparvenue sein. Das gehört sich so.

 

Die Institutionen, die sich, wie Sie meinen, das Vertrauen der Künstler erarbeiten sollen – welch schöner Gedanke –, hängen am Tropf der Politik, die ganz andere Interessen hat, als die vermittelnden Organe haben sollten. Deshalb orientieren sie sich an politischen Interessen. Solange das so ist, sollten die Künstler den Institutionen nicht vertrauen und das gar nicht erst versuchen. Das ist ein nachpostmoderner Gedanke. Aber die Institutionen können nur überleben, wenn sie den Künstlern vertrauen. Und weil Vertrauen eine Angelegenheit zwischen Menschen ist, müssen die Menschen in den Institutionen den Künstlern vertrauen. So schwer das auch ist. Denn die Künstler haben an Selbstbewusstsein verloren, sie wurden zu allem möglichen degradiert, zu Dienstleistern, Unterhaltungsfreaks und Renditebringern. Die Mehrzahl hat das willig angenommen, nun steht sie vor einem Trümmerfeld verlorener Illusionen. Recht so. Schad’ nichts.

 

Wenn Sie mich fragen: Ich würde ein mehrjähriges Kunstmoratorium ausrufen. Zwei oder drei Jahre keine Ausstellungen zeitgenössischer Kunst aus öffentlichen Geldern finanzieren, die eingesparten Mittel den Museen zur Verfügung stellen, dass sie einen Fonds zu unabhängiger Arbeit bilden können, von Ankäufen zu schweigen. Wir sind dabei, die kulturelle Substanz auf dem Markt der Eitel- und Ekelhaftigkeiten zu verspielen. Innehalten tut not.

 

Und Sie fragen nach »Beratung«: Gremien, wie immer sie zusammengesetzt sind, helfen gar nichts. Gremien schaffen kollektive Verantwortungslosigkeit, mehr nicht, und beraten werden will »die Politik« schon lange nicht mehr.

 

Konfrontation ist das Gebot der Stunde. Etwa so: Die Künstler machen Kunst, die Galeristen stellen sie aus – oder nicht, die Kritiker, durch Aushungerung in den Medien mundtot gemacht, suchen sich andere Foren, die Museen verteidigen ihre Inhalte, notfalls durch Schweigen, die Sammler machen, was sie wollen, das Publikum geht mal wieder ins Theater. Und die Politiker halten sich endlich mal raus. Oder kaufen Bilder für die Schlafzimmer zu Hause. Jeder besinnt sich auf das, was er ist. Wenn dann, im Schatten dieses Moratoriums, ein paar Anarchisten eine neue »Ästhetik des Widerstands« gegen das Bestehende entwickeln, könnte es Hoffnung geben. Aber vielleicht ist es dann schon zu spät, weil der Mob auf den Straßen und der Mob in den Banken gemeinsam, in spiegelbildlicher Kooperation, die Hoffnung längst verüberflüssigt haben.

Kunst und Politik, die alte Frage. Vielleicht kann die Kunst wieder politisch werden, wenn sie alle politischen Ambitionen weit von sich weist. Oder simpler, mit einem der großen Alten ausgedrückt: »Kunst ist Kunst. Alles andere ist alles andere.«

 

 

Quelle: P/Act for Art: Berlin Biennale Zeitung

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