Renata Kaminska

Künstlerin, Berlin

Temporäre Räume sind immer noch ein Markenzeichen der Berliner Kunstszene. Genau diese Lebensbedingungen locken »junge« – meist aus dem Ausland kommende – Menschen mit dem Traum von großstädtischem Lebensstil und einer selbst an der Armutsgrenze noch machbaren, mit individueller Selbstverwirklichung trotzenden Existenz. Dabei werden unterschiedliche Strategien entwickelt, mit den sozialen und wirtschaftlichen Bedingungen in Berlin umzugehen, um ein Teil dessen zu werden bzw. zu sein, was als »Szene« gilt – und eine für die pulsierende wie finanziell bankrotte Metropole Berlin symptomatische Kreativität, die gleichermaßen herausfordert wie ermöglicht.

 

Aus der ganzen Welt strömen Künstler nach Berlin, und der Strom reißt nicht ab: Berlin boomt. Die Dichte an Vertretern dieses Genres macht das Künstlerdasein hier in Berlin zu einem normalen Beruf. Der Hauptunterschied zu anderen Branchen liegt in seiner Ungreifbarkeit und Strukturlosigkeit. Degradiert vielleicht genau dieses Fehlen einer beruflichen Struktur den Künstlerberuf zu einer Caprice und erschwert dem Rest der Gesellschaft und seinen Gremien die Erfassung und Berücksichtigung bei der Mittelvergabe?

Also: Wir brauchen hier Struktur!

Um das Verständnis von Kunst in Richtung einer neuen Begrifflichkeit und einer neuen logistischen Struktur zu erweitern und die gegenwärtige Form der künstlerischen Praxis / Arbeit, ihre Funktionsweisen und Spezifika innerhalb dieses Systems erfassen zu können, müssen wir viele Fragen stellen:

 

Wie lässt sich die Kunststruktur als gesellschaftliche Teilstruktur beobachten,

definieren und separieren?

Wie ist sie ökonomisch / sozial / politisch / institutionell als berufliche

Struktur charakterisierbar?

Worin unterscheidet sie sich, und worin ähnelt sie anderen beruflichen Strukturen?

Welches sind ihre intern-inzestuösen Bedingungen?

Wo bestehen reale, mögliche und utopische Anschlüsse an andere gesellschaftliche Strukturen?

Welche Rollenverteilungen und Arbeitsmodelle gibt es bereits oder sollten sich entwickeln?

Welche Tätigkeitsbereiche, Medien, Artikulationsformen und Institutionen sind ihr zuzurechnen,

welche Funktionen übernehmen diese und welche nicht?

Welche Rolle spielt die Kunstvermittlung für die künstlerische Praxis?

Welche Abhängigkeitsverhältnisse bestehen zwischen Künstlern und Vermittlern?

Wo zeigen sich Grenzen und Überschneidungen von Kunst und Kunstkoordinierung?

Wer trägt die Kunst finanziell?

Woher kommt das Geld?

 

Durch den Aufbau einer solchen Struktur wäre eine Grundvoraussetzung für die Wahrnehmung der Künstler als professionelle Gruppe mit eigener Stimme geschaffen. Die Berufsgruppe der Künstler wäre damit unübersehbar und würde ein intensives Durchsetzungsvermögen erlangen. Mit dieser Struktur wäre ein Instrument geschaffen.

 

 

Quelle: P/Act for Art: Berlin Biennale Zeitung

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