SØNKE GAU

KURATOR UND KUNSTKRITIKER, ZÜRICH

 

FREUNDLICHE ÜBERNAHMEN ODER DAS IMAGE DES POLITISCHEN

Trotz der anhaltenden Konjunktur einer „Politik der Biennalisierung“1 wird eher selten der Versuch unternommen, Biennalen nicht im Sinne der Politik, sondern politisch zu nutzen. Die von Artur Żmijewski kuratierte 7. Ausgabe der Berlin Biennale scheint es nun ganz offensichtlich aber genau darauf anzulegen. Jedenfalls lassen sich die bisherigen Signale, wie der Open Call2, in dem weltweit nach der politischen Einstellung von Künstler_innen gefragt wurde, und auch das Bemühen, sich mit dem vorliegenden Magazin aktiv in die Diskussion um Fragen der Berliner Kulturpolitik einzubringen, so deuten – zumindest auf der Oberfläche. Fraglich ist, ob das genügen kann, um den selbst gesetzten Anspruch einzulösen. Sollte es nicht in einem ersten Schritt vielmehr darum gehen, die eigenen ideologischen und ökonomischen Funktionen sowie den eigenen Anteil an der Produktion eines hegemonialen Werthorizonts zu reflektieren, um von dort aus in einem zweiten Schritt eine Praxis zu entwickeln, der es im besten Fall gelingen könnte, temporär und situativ den zur Verfügung stehenden Apparat zu nutzen, um durch konfliktuelle Debatten Öffentlichkeiten für emanzipative Anliegen herzustellen – die sich nicht auf Berliner Kulturpolitik beschränken sollten – und diese zu artikulieren? Aber wenn schon über Berlin und Politik gesprochen werden soll: Viel zu reibungslos gingen die meisten der bisherigen Biennalen im werbewirksamen Stadtspektakel mit dem Titel arm, aber sexy auf. Heruntergekommene Liegenschaften wurden und werden für den Immobilienmarkt aufgewertet, sodass – um nur das aktuellste Beispiel zu nennen – eine ehemalige jüdische Mädchenschule problemlos in ein Arty-Schickimicki-Grill-Royal-Etablissement verwandelt werden kann. Ausstellungen werden über Beteiligungen von Galerien querfinanziert und aufstrebende Künstler_innen marktgerecht präsentiert. Und im Zusammenhang mit „Haben und Brauchen“ ist es auch bezeichnend, dass die ehemals als „Leistungsschau junger Kunst aus Berlin“ geplante Ausstellung based in Berlin trotz massiver Kritik im Vorfeld – auch vonseiten einiger Berliner Kunstinstitutionen – wenig später in Räumlichkeiten ebenjener Institutionen durchgeführt wurde. Der Berlin Biennale, als einem der sogenannten Leuchttürme der Kulturstiftung des Bundes, scheinen positive Besprechungen in den Feuilletons von Zeitungen mit Ausstrahlung wichtiger zu sein als eine politische Positionierung. Eine Positionierung in diesem Sinne müsste dann vielmehr sowohl die eigenen institutionellen Strukturen (Arbeits- und Produktionsbedingungen für Mitarbeiter_innen und Künstler_innen, Hierarchien, Honorare etc.) transparent machen und nötigenfalls zur Disposition stellen, als auch auf der inhaltlichen Ebene versuchen, aus dem Kunstfeld heraus Äquivalenzketten mit anderen politischen und sozialen Praxen außerhalb des Kunstfeldes zu bilden. Im Vordergrund stehen sollten also nicht primär kunstfeldinterne Analysen, sondern auf sie aufbauend Fragen nach den Möglichkeiten anderer Subjektivierungsformen3 und gegen-hegemonialer Artikulationen angesichts einer neoliberalen Dominanz. Vor diesem Hintergrund erscheint es mehr als fraglich, ob es reicht, einen Open Call zu lancieren, der fragt, ob Künstler_innen „sich selbst als politisch ansehen“, und diese bittet „über Ihre politische Neigung zu informieren“.4 Es erscheint ebenso fraglich, Statements von sogenannten „Schlüsselfiguren der Berliner und deutschen Kulturszene“ zur „gegenwärtigen Situation der Kulturpolitik“ in der Stadt Berlin zusammenzutragen,5 um sich an die Spitze einer Debatte zu setzen, welche sich schon vorher nicht über mangelnde (Kunst-)Öffentlichkeit beschweren konnte – und sich diese zumindest teilweise einzuverleiben. Eine offensive Zurschaustellung von vermeintlich politischen Anliegen ersetzt keine Positionierung im oben beschriebenen Sinn, sondern läuft Gefahr, lediglich Oberflächeneffekte zu produzieren, welche den „politischen Anspruch“ als Label für die eigene Legitimierung gebrauchen.

 

1 Empfehlenswert in diesem Zusammenhang ist u.a. Oliver Marchart, Hegemonie im Kunstfeld. Die documenta-Ausstellungen dx, D11, d12 und die Politik der Biennalisierung, n.b.k. Diskurs, Band 2, hg. von Marius Babias, Köln 2008c

 

2 Vgl. http://www.berlinbiennale.de/index.php?option=com_content&task=blogcategory&id=188&Itemid=252 (09.08.2011).

 

3 Vgl. Hito Steyerl, „Die Institution der Kritik“, in: eipcp (Hg.), transversal, 01/2006: http://eipcp.net/transversal/0106/steyerl/de (09.08.2011).

 

4 Vgl. http://www.berlinbiennale.de/index.php?option=com_content&task=blogcategory&id=188&Itemid=252 (09.08.2011).

 

5 So die E-Mail mit der Anfrage um diesen Text.

 

 

Quelle: P/Act for Art: Berlin Biennale Zeitung

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