Zdravka Bajovic

Kunstwissenschaftlerin, 7. Berlin Biennale, Berlin

 

Künstler / In erwache!

Es ist ein Mythos und Realität zugleich: Berlin vibriert vor Kreativität. Es leben Heerscharen Kunst- und Kulturschaffender aus allen Kontinenten in dieser Stadt, und es werden immer mehr, so lesen und erleben wir es. An Nischen zur Präsentation des zeitgenössischen Schaffens scheint es nicht zu mangeln, sei es in den unzählbaren selbstorganisierten Räumen und temporären Projekten oder aber in einer der rund 430 kommerziellen Galerien. Viele internationale KünstlerInnen werden vom Versprechen der Kulturmetropole Berlin angelockt, finden sich schließlich im Wirrwarr der deutschen Bürokratie wieder und wissen letztendlich nicht, wie sie sich das komplexe System zunutze machen können.

 

Nicht wenige KünstlerInnen arbeiten eremitenähnlich in ihren Ateliers und Wohnungen, ohne auszustellen, in der Hoffnung, eines Tages mehr öffentliche Beachtung zu finden. Nur wenige betreten die Bühne der Sichtbarkeit und Anerkennung und den (gelegentlich) damit einhergehenden materiellen Erfolg, den sich wohl jede Künstlerin, jeder Künstler herbeisehnt. Ausstellungen in Museen, Institutionen, Kunstvereinen und Biennalen – oder in die Hände seriöser KunstsammlerInnen zu gelangen – werden für die Mehrheit ein Traum bleiben. Die ökonomische Realität ist vielleicht noch härter. Von den etwa 20.000 Künstlern in der Stadt geht es den selbstständigen bildenden KünstlerInnen am schlechtesten. Es gibt eine beachtliche Gruppe, die nicht einmal 700 Euro im Monat verdient. 75 Prozent der selbstständigen bildenden KünstlerInnen haben weniger als 1.400 Euro im Monat.1 So ist es kein Zufall, dass es zur offenen Kritik an der Ausstellungspolitik der als »Leistungsschau« verrufenen [das war der ursprünglich gedachte Titel] based in Berlin kam. KünstlerInnen wurden zu Marionetten einer Repräsentationspolitik, das Versprechen einer Bestandsaufnahme der Berliner Kunstproduktion nicht eingelöst, die Chance, die Vielstimmigkeit der Kunst dieser Stadt zu zeigen, vertan. Innerhalb der Ausstellung ist keine Kunst, die wehtut. Was ist geblieben?

 

(No) Business as usual? Nein! KünstlerIn erwache!

 

Es gibt gute Gründe, in Berlin zu produzieren und zu leben. Es gilt die geschaffenen nicht kommer­ziellen Nischen zu verteidigen und auszuweiten – der (Kunst-)Raum an sich, in dem wir leben und arbeiten, ist ein politischer. Es wird Zeit, sich wieder stärker als produzierende Akteurin, produzierender Akteur zu vernetzen, die künstlerische Energie zu bündeln und zentrale Orte in der Stadt zu erobern, die die Interessen vieler und nicht nur die weniger Auserwählter sichtbar machen. Es wird Zeit, ein Bewusstsein dafür zu bekommen, dass KünstlerInnen auf staatliche Förderung ein Recht haben. Wenn 20 Prozent des Bruttoinlandsprodukts der Stadt Berlin von der Kultur erwirtschaftet werden,2 dann sollte Berlin seinerseits auch den KünstlerInnen etwas zurückgeben und Orte schaffen und finanzieren, die den KünstlerInnen zugute kommen – Plattformen, die weder selbstausbeuterisch noch rein kaptialorientiert funktionieren.

 

Die Stärke der Kunst liegt darin, dass diese im Namen der Kunst sagen kann, was jeder Künstlerin, jedem Künstler essenziell erscheint. Kunst ist einer der wenigen Orte der Experimente, der Kritik, der Wissensproduktion, der Bildung, ästhetischer Erfahrung und Meinungsäußerung zugleich. Und diesen Raum gilt es zu verteidigen.

 

1 Marco Mundelius, »Einkommen der Berliner Kreativbranche: Angestell-te Künstler verdienen am besten«, in: Wochenbericht der DIW Berlin, Nr. 9, 2009, www.diw-berlin.de (Zugriff am 6. August 2011).

 

2 Siehe aktuelle Werbebroschüre der SPD-Fraktion: Lebenswerter. Liebenswerter. 2006–2011. Gute Jahre in Berlin.

 

 

Quelle: P/Act for Art: Berlin Biennale Zeitung

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