Die 7. Berlin Biennale als Tabubruch

Wenn die Kunst keine Fragen mehr stellt, ist sie dann noch Kunst?

von Marina Naprushkina

Wenn man gemeint hat, die Kunst könne keine Tabus mehr brechen, wurde man mit der 7. Berlin Biennale eines Besseren belehrt. Dort gibt die Kunst Antworten statt Fragen zu stellen und prompt verweist sie das Kunstestablishment in den Bereich der Nichtkunst.

 

Nichts war an dieser Biennale wie üblich.

 

Für mich begann die Zusammenarbeit bereits im Sommer 2011 und sie dauert immer noch an. Zunächst: Ein Künstler als Kurator – wir sparten uns gegenseitig eine Menge Zeit um die übliche Distanz zu überwinden, und die Kommunikation war weit intensiver, als ich sie von bisherigen Ausstellungsprojekten kannte.

 

Diese Biennale begrenzt sich nicht auf die Laufzeit der Ausstellung und nicht nur auf die Räumlichkeiten des Ausstellungsortes. Eine Kunstinstitution, die plötzlich zu einer politischen Plattform wird, ohne dafür wirklich Know-how zu besitzen, wie man ein dafür notwendiges Umfeld organisiert - an vielen Stellen mangelte es an Erfahrung und Kontakten. Das Durchziehen der Projekte lebte von der Energie der Künstler und dem Einsatz des Biennale-Teams. Ich spürte, dass hier die Kunst ernst genommen wurde. Nicht nur durch den Kurator, sonder auch im Team: die Projekte wurden geliebt oder eben nicht, die oft angetroffene professionelle Gleichgültigkeit der handelnden Personen fehlte hier gänzlich.

 

Die Idee der Ausstellung ist kurz und klar formuliert, man braucht nicht viel über Kunst zu wissen um dieser Idee folgen zu können: Eine Kunst die wirksam sein kann und die Realität beeinflussen kann. Und es ist ein Paradox, dass gerade dies in Kunstkreisen angefeindet wurde. Warum? Haben wir den Glauben verloren an das, was wir tun? Ist es naiv und damit unprofessionell an die Wirksamkeit der Kunst zu glauben?

 

Ich komme aus Belarus. In einem seit Jahren autoritär regiertem Land gehören Zensur und Selbstzensur in der Kunst zu den alltäglichen Arbeitsbedingungen. Man stößt sehr schnell an die Grenzen des Erlaubten. Wenige der Künstler arbeiten daran diese Grenzen auszudehnen, die meisten ziehen sich zurück und schaffen einen autonomen Raum um sich herum.  Präsident Alexander Lukashenko möchte die Kunst aus dem öffentlichen Raum wegradieren.

 

Aber ich bin etwas irritiert, wenn die Kunst im Westen auch eingesperrt wird. Dass man hier im demokratischen, aufgeklärten Deutschland so schnell an Grenzen stößt. Noch selten habe ich so klar aufgezeigt bekommen, wo diese Grenzen liegen, was als gute und richtige Kunst erwartet wird. Auch engagierte Kunst hat offensichtlich einen vorgegebenen Rahmen. Spannend. Kann es sein, dass die Ablehnung der Biennale bei vielen aus der eigenen Orientierungslosigkeit herrührt? Wie anders ist es sonst zu erklären, dass man die Biennale als Provokation abtut, gleichzeitig aber immer fordert, Künstler müssten radikalere Positionen beziehen, sich etwas trauen. Viele finden hier keine Kunst, laden als Kuratoren genau diese Künstler wieder zu eigenen Ausstellungen ein. Oder, ein nicht selten vorgetragenes Argument, Künstler, die Politik machen wollen, sollen in die Politik gehen. Aber warum werden wir von hier weggeschickt?

 

Es gibt anscheinend ein klar begrenztes Feld der Politik und ein Feld der Kunst. Muss man zwangsläufig das Feld der Kunst verlassen, wenn man politisch etwas bewegen möchte? Der massive Gegenwind, der diese Biennale schon bei ihrer Entstehung ins Gesicht blies, bestätigt, dass die Projekte ganz tief ins Reale eingegriffen haben. Es ist ganz erstaunlich, wie viel Skepsis das Ausstellungskonzept und besonders die „zur Schau gestellten“ Occupy-Aktivisten hervorrufen. Heute, wo überragend viele Protestbewegungen weltweit entstehen, die nach alternativen Politikmodellen suchen, scheint dieser Umstand in der Kunstwelt noch nicht angekommen zu sein. Und auch die nicht wegzudiskutierende Verschmelzung von politischen und ästhetischen künstlerischen Methoden wird abgestritten. Ist die Gesellschaft schon weiter als die Kunst? Oder die Kunst weiter als die Kunstkritik, die sich behaglich eingerichtet hat im Ästhetischen? Die Biennale war nicht dem Gesellschaftlichen voraus, wohl aber dem Kunstestablishment.

 

Die Kunsthistorikerin und Kuratorin Ekaterina Degot aus Moskau, macht in ihrem Text zur Documenta einen beiläufigen kurzen Kommentar zur 7. Berlin Biennale: "Berlin Biennale - die mochte buchstäblich niemand. Aber die Ausstellung löste heftige Debatten aus über Nationalismus und Zensur, Aktivismus und Ästhetik des Dokumentarischen, der katholischen Kirche und, übrigens, Kunst".

 

Eine Abneigung gegen die Ästhetik hat die politischen Konflikte sichtbar gemacht. Kann man sich mehr wünschen?

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