Diese Welt zu unserer machen

Ein Bericht der Besetzung von Beursplein

Jonas Staal

Zusammen mit einer Gruppe von KünstlerInnen nahm ich in dieser Woche mit einem kollektiven Zelt an der Besetzung von Beursplein, der Amsterdamer Börse teil.

 

Wir glauben an den öffentlichen Raum als demokratischen Raum. Ein Raum, in dem politische Prozesse in ihrer elementarsten Form stattfinden können. Der Raum, in dem wir durch Begegnung, Auseinandersetzung und Konflikt das untersuchen, was wir als gemeinsam bezeichnen können; was der Raum ist, in dem wir eine gemeinsame Basis finden können; in dem eine gemeinsame Sprache entwickelt werden kann.

 

Die gewaltsame Auflösung des friedlichen Protests von Künstlern vor dem Parlamentsgebäude in Den Haag am 28. Juni 2011 durch die niederländische Bereitschaftspolizei hat tiefe Spuren bei jedem von uns hinterlassen. Vor allem als bekannt wurde, warum die Polizei es für nötig erachtete, das demokratische Recht spontaner Demonstration durch eine Einheit von Bereitschaftspolizisten von der Straße zu verdrängen. Der Grund war, dass die Demonstration eine Einkaufsstraße behinderte – das würde voraussetzen, dass die Demonstration nicht beendet worden wäre, wenn sie nicht in einer Einkaufsstraße stattgefunden hätte. Aber was kann in unseren Städten getan werden, die heutzutage fast ausschließlich aus Einkaufsstraßen bestehen? Wohin können wir ausweichen, wenn das Recht des Konsumenten als „höheres“ demokratisches Recht gilt, als das Recht der politischen Versammlung? Ist das Malieveld – der für Proteste vorgesehene Platz außerhalb des Stadtzentrums Den Haags, in anderen Worten: der Abladeplatz der Demokratie – der einzige Raum, der uns für die Forderung nach dem Politischen bleibt?

 

Die Antwort ist – leider – ja. Ein jämmerliches Feld, nur sichtbar, wenn die Medien Interesse daran haben, ist der einzige „demokratische“ Raum, der uns angeboten wird.

 

Die Besetzung von Beursplein zeigt, dass es eine kritische Masse geben kann, die damit nicht einverstanden ist. Ihr Camp ist umgeben von der Börse, dem Rummel am Dam, endlosen Einkaufszentren und Touristen-Straßen. Ohne einen Anführer oder eine vorbereitete Struktur strebt diese extrem heterogene Gruppe danach, den politischen Prozess gemeinschaftlich wieder zu erfinden. Die öffentlichen Treffen sind am eindringlichsten: jeder ist an jedem Abend zu den Foren willkommen, um über Protestformen und die praktischen und ideologischen Funktionsweisen des Camps zu sprechen. Jeder hat die Möglichkeit zu sprechen und seine Worte werden gemeinschaftlich von den Anwesenden wiederholt, um jedem den politischen Körper bewusst zu machen, der nach einer Stimme sucht: einer, der die Vielzahl von Menschen reflektiert, die sich selbst darin vereinen.

 

Einige Medien haben die Manifestation dieser Ideale an der besetzten Amsterdamer Börse oberflächlich als dürftig beschrieben. Vom Regen durchnässte Lehnstühle, halb zusammengeklappte Zelte, Tagesausflügler, Zeitungsverkäufer von „The Socialist“, schwache Slogans, Regenbogenbilder und eine auffallende Anzahl ungepflegter Hunde bilden nicht die ideale Repräsentation einer gemeinschaftlichen Suche nach neuen demokratischen Modellen. Aber diese vordergründigen Erscheinungen sind inhärent für den Prozess, durch den Politik von Grund auf umgestaltet wird; durch den Modelle gesucht werden, die nicht einfach ihre Bürger dazu auffordern, alle paar Jahre nicht zu wählen sondern sie eher herausfordern, sie selbst zu formen, sich nach Offenheit zu bemühen wo dies möglich ist. Ein nicht-exklusiver Raum, weil Politik sich weder auf ein Parlament beschränken sollte, noch auf die Stimmabgabe, die Teilnahme an einem Referendum oder auf das Lesen der Zeitung oder die Nachrichten im Fernsehen. Politik bedeutet, Verantwortung dafür zu übernehmen, diese Welt als unsere Welt zu verstehen und sie als solche zu formen.

 

Das ist es, wonach die Besetzung der Amsterdamer Börse strebt. Die Form, in der sie sich selbst manifestiert führt notwendigerweise zu Kritik. Aber das hält uns nicht davon ab, die einzig richtige Wahl zu treffen; Beursplein zu besetzen, und diese Welt wieder zur unseren zu machen.

 

22. Oktober 2011

7-berlin-biennale-OccupyAmsterdam

Occupy Amsterdam. Foto: unbekannt

Kommentare

  1. Till Stepping

    Hallo Jonas Staal, die Möglichkeiten in öffentlichen, demokratischen Räumen, das zu untersuchen, was wir als gemeinsam bezeichnen können (und ich zitiere das nicht, weil wir da bereits eine “gemeinsame Sprache” haben), um daraufhin – und das scheint ein gemeinsames Ziel zu sein – eine sozial, ökologisch und ästhetisch bessere Lebenswelt zu schaffen, sind zahlreich und vielfältig ausgerichtet. Täglich entstehen hinsichtlich des Themas neue solcher Räume.
    Das diese in unbedeutende, wenig wirksame Nischen gedrängt werden, ihre Inhalte ideologisch verzerrt und medial herabdosiert werden, ist seit langem so. Doch kann dies nicht darüber hinwegtäuschen, das die dort erarbeiteten Inhalte mittlerweile sehr fundiert und in ihren konkreten Umsetzungsmöglichkeiten reif sind.
    Wie ein politischer Prozess mit Bürgerbeteiligung aussehen kann und welche ersten Schritte hin zu einer erforderlich tiefgreifenden Umgestaltung möglich und nötig sind, auch das wurde an vielen Orten, im Grunde übereinstimmend ausformuliert. Wobei immer gleichsam verständlich gemacht wurde, dass wir nicht den einen fertigen, die Zukunt voraussehenden, perfekten und sicheren Entwurf liefern können.
    Daher müssen wir uns fragen, ob wir neben der weiterhin sinnvollen Suche nach Formen einer alternativen Gestaltung unserer Gesellschaften und neben dem so wichtigen Schaffen ästhetischer Erfahrungen, nicht auch darüber sprechen sollten, wie wir die bereits existierenden Lösungsvorschläge umsetzen können, insbesondere welche ersten konkreten Schritte einer solidarischen Bewegung dazu beitragen können. (…)
    Zwei Fragen hierzu würde ich gerne in den Raum stellen: Ist es möglich zu einer gemeinsamen Sprache mit einem größtmöglichen gemeinsamen Nenner (etwa; wir Zerstören unsere Lebenswelt und müssen das beenden) zu finden und können wir Lösungsvorschläge hierfür anbieten? Wie bekommen wir die etablierten Organe der Kulturvermittlung, all die unter anderem auch das öffentliche Bewusstsein wirksam beeinflussenden Entscheidungsträger dazu, uns mit all ihren Potentialen (…die es zu wecken gilt) bei diesem so einleuchtenden Projekt der Schaffung einer besseren Lebenswelt zu unterstützen. (…)
    Ich glaube, es ist hierfür unter anderem sehr wichtig, unablässig den durchgehaltenen Dialog mit den Entscheidungsträgern einzufordern, ein Dialog, der über Bürgerbefragung und Beteiligungen an kurzlebigen Podiumsdiskussionen und dergleichen weit hinaus geht. (…). Vor allem wenn eine Mehhrheit der entscheidenden Vermittlungsorgane einstimmig und entschlossen für den heute schon möglichen und notwendigen Wandel eine Mehrheit der Menschen mobilisiert, können wir endlich auch in dem erforderlichen Ausmaß den Wandel beginnen.
    Zunächst einmal scheint es aber ebenso dringend zu sein, auch einmal innerhalb unserer Bewegung diese hier nur angedeuteten und gemeinsam zu entwickelnden Möglichkeiten in den ausführlichen Dialog zu bringen.
    Wie können wir unsere kreativen Kräfte bündeln und gemeinsam so stark werden, dass der etablierte Kulturbetrieb (…) von sich aus unsere Sache unterstützt und insbesondere dazu beiträgt, eine Mehrheit zu mobilisieren für die erforderlich tiefgreifenden und umfassenden Veränderungen, die schließlich auch von – in der vorherrschenden Kultur hoch angesehenen – Wissenschaftlern und Lebenskünstlern (…) gefordert werden.
    Die vielen Missstände, die beschämenden Tonnen an Nahrungsmitteln, die wir täglich vergeuden, eine endlos wachsende, der irrsinnigen Wachstumslogik geschuldete tote Materie, mit der wir unserer natürlichen Kreisläufe schädigen, Hunger und Krieg, Intoleranz und ein Übermaß an Antagonismen, die uns fortdauernd lähmen, sowie unzählige weitere nicht hinnehmbare Missstände können wir heute schon dank unserer Imagination und Kreativität in viel größerem Ausmaß beheben als es bisher geschieht.
    Gemeinsam können wir aufs Ganze gehen (E. Canetti) und als eine solidarische Kultur mit kreativem Selbstbewusstsein die so offensichtlich auf das Falsche ausgerichtete Macht von Regierungen und ausbeuterischer Wirtschaftszweige auf friedlichem Wege übernehmen und sinnvoll umverteilen (…)
    Gemeinsam können wir offene Geschichte machen; der durchgehaltene Dialog mit Entscheidungsträgern des gesamten Kulturbetriebs ist hierzu ein erster Schritt, ihn können wir gemeinsam einfordern, lasst uns hierüber reden.

    Mit Hoffnung und lieben Grüßen Till Stepping

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