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Künstler Łukasz Surowiec, Foto: Marcin Kaliński

Interview mit Łukasz Surowiec

Daniel Miller führte das Gespräch am 27. März 2012

 

Vielleicht könnten wir mit der Frage nach der Essenz des Projektes anfangen…

 

Ich schenke Deutschland etwas Besonderes.

 

Was schenkst Du?

 

Das Nationalerbe.

 

Eigentlich bringst Du ein paar Bäume hierher, die nie in Deutschland gewesen sind…

 

Diese Bäume sind jedoch eng mit der Geschichte und dem Nationalerbe Deutschlands verbunden. Ganz genau gesagt: ich gebe die Geschichte zurück.

 

Du bringst einige Bäume aus der Umgebung von Auschwitz-Birkenau nach Berlin.

 

Ich bringe einen lebenden Friedhof. Diese Bäume haben in Birkenau das Wasser aus einem Boden voller Asche getrunken, sie haben dieselbe Luft eingeatmet, in der zuvor der Rauch aus den Krematorien schwebte,.

 

War es schwierig dieses Projekt zu organisieren?

 

Die Einwohner von Birkenau haben mir sehr geholfen. Wir haben etwa 400 Bäume ausgegraben, aber ich konnte diese Bäume nicht direkt nach Berlin transportieren. Sie waren zu jung, um im Stadtraum gepflanzt zu werden. Zusätzlich hatten viele der Bäume beschädigte Wurzeln. Deswegen habe ich beschlossen, sie zuerst im meinen eigenen Garten zu pflanzen, mich um sie zu kümmern und sie zu pflegen. Im Herbst 2011 habe ich die robustesten Bäume ausgewählt  etwa 320 Birken, 3-5 Jahre alt, bei denen ich sicher sein konnte, dass sie sich an die neue Umgebung gewöhnen. Den Rest der Bäume habe ich Zuhause gelassen und pflege sie weiterhin. Diese Birken haben ein enormes symbolisches Potenzial, deswegen konnte ich es mir nicht erlauben, Bäume, die eingehen könnten, hierher zu bringen, Dies könnte sehr schnell zu einem Missverständnis führen.

 

Diese Bäume sind wie Grabsteine…

 

Mit der Ausnahme, dass sie keine Grabsteine sind. Steine sind tot. Sie sind kein gutes Medium der Erinnerung. Doch die Pflanzen sind es. Sie sind lebende Wesen, sie haben einen natürlichen Lebenszyklus, sie brauchen Zuwendung und Pflege.

 

Du hast schon öfter mit Bäumen gearbeitet. Ich weiß, dass Du ein einmal einen Baum in einer Galerie ausgestellt hast. War das auch ein Baum aus Auschwitz?

 

Nein, das war ein Baum aus meinem Garten. Es war eine ganz andere Arbeit, ein autobiographisches Werk, denn der Baum ist genauso alt wie ich. Mein Vater pflanzte ihn zu meiner Geburt.

 

Und Du fällst ihn und stellst zur Schau in eine Galerie?

 

Ja.

 

Du arbeitest also viel mit Bäumen…

 

Ich habe große Hochachtung vor der Natur. Sie ist ein sehr starkes Medium…

 

Das Medium der Bäume?

 

Ja.

 

Wofür?

 

Ich nutze sie, um ein Denkmal zu schaffen, das nicht nur vor Zerstörung geschützt werden muss, sondern um das man sich auch aktiv kümmern muss – durch das Gießen, durch die Kultivierung. Bei Denkmälern aus Stein und besonders bei den großen, besteht die Gefahr, dass die Leute sagen: wir haben die Geschichte zu Ende gebracht, jetzt können wir sie vergessen, da wir ein großes Denkmal haben.

 

Das für uns die Erinnerung trägt?

 

Richtig. Für mich ist Stein kein gutes Medium der Erinnerung. Es ist eher ein Medium des Vergessens, genau wie Bronze.

 

Ich möchte den Menschen die Gelegenheit geben, sich mit der Erinnerung an die Vergangenheit aktiv auseinander zu setzten. Ein Monument kann dies nicht tun. Denkmäler sind eine Form von visueller Gewalt, gegeben durch die Institutionen. Menschen, die an meinem Projekt teilnehmen, machen es für sich selbst. Ich beobachte sie. Die Pflanzung der Bäume ist für sie der Beginn einer intimen Berührung mit der Vergangenheit und Erinnerung. Offenbar haben diese unscheinbaren Pflanzen das Potenzial, die Geschichte zu beeinflussen. Sie werden in Berlin ewig wachsen.

 

Es ist also ein Projekt über das Erbe des Holocaust?

 

Es ist ein Projekt darüber, was Menschen tun können. Über die Möglichkeiten der Menschheit und ihre zerstörerischen Fähigkeiten. Diese Bäume erinnern uns daran, dass etwas sehr schlimmes geschehen ist. Wenn wir das vergessen würden, könnte es wieder passieren. Diese Arbeit ist auch aus Respekt gegenüber den Ermordeten entstanden. Ich glaube, dass die Gefangenen, die in Auschwitz ums Leben gekommen sind sich so eine Art der Erinnerung wünschen würden – ein lebender Baum, kein toter Stein.

 

Wir Europäer sind in einer Kultur aufgewachsen, deren Essenz die Vergebung ist. Das Christentum hat uns das beigebracht. Wir wollen uns auch nicht für die Fehler unserer Großeltern bestrafen. Doch trotzdem sind wir uns der Unterschiede zu der jüdischen Kultur bewusst. Es ist ein sehr wichtiger Aspekt, an dem wir gegenwärtig arbeiten, insbesondere die Deutschen. Ich möchte mit meinem Projekt ein Teil des Programms „Umgang mit der Geschichte” werden. Doch aus Respekt vor den Ermordeten bleibt das Wichtigste, sich zu vergewissern, dass die Erinnerung einen Einfluss auf die gegenwärtige Regierungspolitik gegenüber den aktuellen Bedrohungen hat.

 

Und wie bringst Du das zum Ausdruck?

Ich möchte einen neunen Denkansatz vorschlagen. Als Konsequenz dieser Gedanken könnte man vielleicht die Verwaltung der ehemaligen Konzentrationslager an die deutsche Regierung übergeben. Ich möchte auch einen Ausflug junger Menschen aus Deutschland nach Auschwitz organisieren, mit nationalen Fahnen.

 

Wie meinst Du das?

 

Viele Menschen besuchen Auschwitz mit deren Nationalfarben. Aber ich habe nie von deutschen Besuchern mit Flaggen gehört. Das gilt als politisch Unkorrekt.

 

Was wäre die Bedeutung einer solchen Aktion?

 

Es ist ein Versuch. Ich höre heute oft, Deutschland habe sich komplett verändert; ich sehe also kein Problem darin, die neue Generation Deutschlands zu einem Ausflug nach Auschwitz unter ihre Nationalfarben einzuladen. Sie sollen zeigen, dass sie die neuen Deutschen sind, tolerant, offen…

 

Das müssen natürlich mutige Menschen sein, die meine Intention verstehen. Es ist aber auch ein Versuch den Opfern gegenüber – sind sie bereit für ein solches ein Treffen?

 

Wie vielen Menschen hast du Bäume angeboten?

 

Das ganze Team der Berlin Biennale wurde in das Projekt involviert. Die Teammitglieder haben sehr viele Institutionen in Berlin und außerhalb angefragt. Und jeder von ihnen hatte eine andere, neue Idee, wen man anfragen konnte, wo man die Birken pflanzen sollte. Alle haben eine tolle Arbeit geleistet.

 

Hast Du die NPD angefragt?

 

Nein.

 

Wie groß sind die Bäume?

 

Zwischen 2 und 5 Meter.

 

Kann ich einen auf meinem Balkon pflanzen?

 

Wenn Du willst?

 

Würdest Du mir, einer Privatperson, einen Baum geben?

 

Ja, natürlich. Igor Vucic, ein Künstler, Freund der KW und gleichzeitig ein ausgezeichneter Gärtner, hat aus den Samen, die ich in Auschwitz gesammelt habe, etwa 400 Bäume gepflanzt. Ich habe vor, diese Setzlinge den Besuchern der 7. Berlin Biennale zu schenken. Jede Person wird auch ein Zertifikat erhalten – dies ist ein Teil meiner Aktionen während der 7. Berlin Biennale. Du kannst in die KW kommen und einen Baum mitnehmen.

 

Du schaffst eine Art von Baum-Kult...

 

Es ist nur ein Medium...

 

Ein Kult in Medium-Größe?

 

In natürlicher Größe. Für eine bessere Kommunikation.

 

Aber was kommunizierst du? Deine Aussage zu diesem Thema ist nicht wirklich originell...

 

Originell ist eine archaische Bezeichnung der Kunst. Vergiss es.

 

Was also erhoffst Du dir, was soll geschehen?

 

Ich möchte in 10 Jahren zurückkommen und eine Dokumentation machen. Ich hoffe in dieser Zeit werden die Bäume wachsen...

 

Und einen Wald bilden?

 

Ja, genau. Und vielleicht zu einer Diskussion über die Verantwortung in der Zukunft anregen.

 

Und du möchtest, dass die Deutschen die Verantwortung für die Verwaltung der ehemaligen Konzentrationslager übernehmen?

Ja, denn es ist nicht unser Nationalerbe. Es ist ein Teil unserer (polnischen) Geschichte, aber wir haben es nicht getan. Wir sind nicht die Nation, die die Lager geschaffen hat. Es ist vielleicht nicht das wichtigste Diskussionsthema heutzutage, doch für die Polen ist es wichtig, einen Teil der Geschichte an die Deutschen zu übergeben. Wir haben unsere eigenen Friedhöfe um die wir uns kümmern müssen. Doch weil die Verantwortung, die Erinnerung an den Holocaust zu pflegen auf uns lastet, ist es schwer, sich der eigenen Geschichte und Verantwortungen zu widmen. Wenn wir die Verantwortung an die Deutschen übergäben, würde es uns leichter fallen, über unsere eigene zu sprechen. Wenn wir uns nicht mehr um die Konzentrationslager kümmern müssten, würden wir die Chance haben, über unsere eigenen Probleme, Fehler und Geschichte nachzudenken. Die Grundidee ist, die Verantwortung zu teilen und jeder Nation den Teil, den Ort, für den sie verantwortlich ist, zu geben. Und ich glaube dies könnte zu einer neuen Art von Partnerschaft zwischen Polen und Deutschland führen, einer Partnerschaft, in der es keine Opfer und Täter gibt, in der jeder die Verantwortung für seine eigenen Taten trägt, in der wir ein Gespräch auf einem gleichen Niveau führen können.

 

Fühlst du dich durch die Auseinandersetzung mit dem Holocaust in Polen unterdrückt?

 

Ich fühle mich von unserem nationalen Martyrium überwältigt. Vielleicht ist meine Arbeit eine Behandlung dieser Komplexe? Die Kunst ist dafür gut geeignet; ihre Stärke ist, das Unaussprechbare zu sagen.

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