Stellungnahme von Axel Wieder, Pro qm

Ich habe das erste Mal von Martin Zets Projekt gehört, als mich eine Mitarbeiterin der Biennale wegen dessen Realisierungsmöglichkeiten angesprochen hat. Ich fand den Vorschlag – neben vielen offenen Fragen – aus zwei Gründen sympathisch: zum einen wegen einem diskursiven Verständnis der Wirkweise von Thilo Sarrazins Buch, zum anderen gerade wegen seiner Offenheit.

 

Zum ersten Punkt: Das Buch ist natürlich schrecklich, aus politischer und theoretischer Perspektive - noch erschreckender finde ich allerdings die Tatsache, dass sich das Buch so gut verkauft hat. Es hat eine öffentliche Debatte ausgelöst, die Beobachtungen und Thesen in geradezu nachlässiger Weise verkürzt. Anstatt die gesellschaftliche Dynamik in ihrer Komplexität zu erfassen, werden kurzfristige Problemlösungen angeboten, die soziale Ungerechtigkeit zementieren und dabei scheinbar auf wissenschaftlichen Fakten begründet sind. Sarrazins Buch provoziert eine vereinfachende Positionierung und im Grunde genommen eine Verknappung von Wissen. Aus diesem Grund spielen auch die biologischen Argumente bei Sarrazin so eine wichtige Rolle. Dabei geht es ja eigentlich um politische Fragen, die man auch als solche verhandeln sollte. An diesem Punkt setzt Zets Projekt an, und eben nicht an der Diskussion von Details, um die es ja auch gar nicht geht, auch nicht den VerteidigerInnen des Buches, die damit lediglich ihre politische Haltung untermauern.

 

Zum anderen hat das Projekt als Teil der 7. Berlin Biennale einen konzeptuellen Rahmen, der für die Aktion wichtig ist. Von Martin Zets Projekt ist bislang ja noch nicht viel zu sehen. Im Grunde geht es gerade erst los: Was passiert auf den Aufruf hin, wie werden die offensichtlich brüchigen Stellen des Aufrufes problematisiert? Die KuratorInnen der 7. Berlin Biennale beschäftigen sich ausdrücklich mit den Wechselwirkungen zwischen Kunst und Realität und räumen dem künstlerischen Feld dabei einen größeren, auch aktivistisch gedachten Handlungsspielraum ein. Mit den offenen Stellen des Projektes meine ich gar nicht unbedingt den schalen Geschmack, den die Vernichtung von Büchern auf unser aufklärerisches Gemüt haben mag. Auch wenn es sich dabei sicherlich nicht um einen Aufruf zur Zensur handelt, so überrascht doch der prekäre, vermutlich auch bewusst kontroverse Zugriff auf den hohen Stellenwert, den wir der Idee der Information zumessen. Genauso geht es dem Projekt aber auch um das Verhältnis von Populismen zu Gegenpopulismen, um den Wirkungskreis der Kunst, und in einer Art großangelegtem Experiment auch um die Frage, welche Prozesse sich aus einem künstlerischen Proposal heraus entwickeln können, und das – um möglichst weitreichende Ergebnisse erzielen zu können – eben auch möglichst offen angelegt sein muss.

 

Mit der Buchhandlung Pro qm sind wir inzwischen einer der Orte, an denen die Bücher zurückgegeben werden können. Ich bin mir allerdings nicht sicher, ob wir damit mehr oder weniger teilnehmen als andere kritisch beobachtende Menschen auch. Für uns war es zunächst eine solidarische Geste für das insgesamt theoretisch interessante und sympathische Ausstellungsprojekt der kommenden Berlin Biennale, verbunden mit der Spannung, was aus dem Projektproposal werden könnte. Infolge der massiven Proteste – die auch bei uns spürbar waren – hat ein politischer Prozess begonnen. Einige Institutionen sprachen in eigenen Statements zu der Aktion von einer gefährlichen Polarisierung, was meines Erachtens den Punkt nicht trifft. Für die Kunstinstitutionen geht es vor allem um einen Standpunkt: Wie kann man sich politisch positionieren, was ist gegenüber den Förderinstitutionen möglich, von denen man abhängt, und wie sieht man sich selber innerhalb der öffentlichen Diskussion. Diese Prozesse macht das Projekt – ich glaube in sehr bewusster Weise – sichtbar.

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Kommentare

  1. Dennis Sieberman

    Die Kunstinstitutionen positionieren sich also durch Teilnahme an der “sympathischen Aktion”.
    Aber als was positionieren sie sich ?
    Als politische (polarisierende) Sammelstelle / Abgabepunkt für missliebige Literatur (die dann verarbeitet und recycled wird).

  2. ProDiskussionsfreiheit

    Sehr geehrter Herr Wieder,

    auch durch Ihre etwas verquaste Stellungnahme erschließt sich mir nicht der tiefere Sinn und Nutzen des Projektes von M. Zet. Das Projekt enthält weder eine künstlerische noch eine politische Relevanz. Eine politische Relevanz hätte das Projekt, wenn dadurch eine konstruktiv-kritische Diskussion über Sarrazins Buch ausgelöst würde. Dies ist aber nicht der Fall, weil lediglich die schon sattsam bekannten Vorwürfe und Vorurteile gegen das Buch und seinen Autor gefördert werden, wie z. B. den hirnrissigen Rassismusvorwurf. So beschränkt sich der Nutzen dieses Projektes offenbar darauf, den Namen des sogenannten Künstlers Zet etwas bekannter zu machen. Vor diesem Hintergrund ist es umso erstaunlicher, dass sich doch einige Personen und Einrichtungen vor diesen (Zet)Karren spannen lassen. Am Erfolg dieses auf jeden Fall lesenwerten Buches werden weder Zet noch die Biennale und auch nicht die Kritiker etwas ändern können. Und dies ist gut so!

  3. Wolfgang Müller

    Lieber Axel Wieder, Die teilnehmenden “Sammelstellen” (!) positionieren sich zunächst für eine unterkomplexe, schlechte, effekthaschende Kunstaktion und entwerten damit ganz unbeabsichtigt die doch recht zahlreichen geistreichen und originellen Inititativen, Bücher und Aktionen, die es längst gegen Sarrazzins weißen Elite-Rassismus gibt. Trotzdem ist die Teilnahme sicher legitim. Wenn Künstlerhaus Bethanien- Leiter Tannert die effekthaschende Recycling-Aktion als “Zensur!” beschreibt, dann reiht er sich damit ein in den Chor der sich zu gern als Opfer stilisierenden rassistischen Sarrazinfans. (“Schamrote Ex-Rassisten betreten mit zerlesen Sarrazzin-Büchern die 100 % Rassismusfreien Kunsthallen, um ihr Buch dem Schredder zu übergeben.”) Die Idee, bzw. der “Einfall” soll ursprünglich vom Biennaleleiter Zmjeweski selbst stammen, der M. Zet damit beauftragte. Könnte ich mir gut vorstellen und passt. Hinter der Frage, warum solch unterirdisch doofe effekte suchende Kunst, die jeder Kritik hinterherlaufen muss, weil ihr zb. – nur ein Beispiel – zuvor entgangen ist, welches Assoziationen in einem Wort wie “Sammelstelle” oder auch “Recycling” vorhanden sein können, auf der Biennale gezeigt wird, steckt natürlich auch die Frage nach der Qualität und Berufung der Berufenen. Und meine Kritik an der inexistenten Kunstkritik, deren sich als links und kritische wähnende Vertreter ernsthaft davon ausgehen, dass die Kunstkritik noch am wenigsten “kompromittiert” sei, weil es da “wenig Geld” zu verdienen gebe (O-Ton Isabelle Graw in taz und HAU). In Kunst & Co ist der Wulff drin!

  4. ProDiskussionsfreiheit

    @Wolfgang Müller
    ” Sarrazzins weißen Elite-Rassismus”?? – Frage: Wie passt denn diese Wertung mit Sarrazins explizit positiver Würdigung der Integrationsfähigkeit und -erfolge vietnamesischer Einwanderer zusammen?? Entweder haben Sie Sarrazins Buch nicht gelesen oder nicht verstanden! Was ist mit Ihnen los?

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