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Foto: Anna Eckold

Final Fantasies

von JOANNA RAJKOWSKA

Jedem, dessen Leben sich dem Ende nähert, stellt sich eine wichtige Frage: „Wie möchte ich sterben?” Diese Frage umfasst einen körperlichen Zustand, einen Ort und die An- / Abwesenheit anderer Menschen. Menschen in einem Hospiz haben nicht immer die Möglichkeit, so zu sterben, wie sie es sich wünschen. Trotz größter Anstrengungen gibt es oft nicht die nötige „Maschinerie” oder Logistik und auch nicht die Kenntnisse, um ihnen wünschenswerte Umgebungen für den Tod zu bieten. Dabei könnte das stattfinden – mithilfe von Kunst und Künstlern. Ich würde gerne mit Menschen arbeiten, die vor dem Sterben stehen, und versuchen, ihnen eine Umgebung zu schaffen, die ihnen für ihren Tod ideal scheint. Ich stelle mir für diese Arbeit etwa vor, an Orte zu reisen, an welche die Sterbenden sich gerne erinnern, um dort zu filmen; es Menschen zu ermöglichen, im Wasser zu sterben, in einem Wald oder einer bestimmten deutschen Stadt; oder einen gewählten Raum in einer bestimmten Farbe zu streichen. Die soziale Energie, die sich in den Aktivitäten von Kunstinstitutionen und Galerien bindet oder durch gemeinnützige Institutionen oder Kunstvereine fließt, gilt naturgemäß den Lebenden.

 

Die Kranken und Sterbenden sind von zentralen Bereichen des Lebens durch Krankheit, Schwäche oder durch psychologische Barrieren abgetrennt. Wir wissen nicht, wie wir uns verhalten sollen, wenn wir wissen, dass die Person gegenüber in absehbarer Zeit sterben wird, und dass er oder sie es auch weiß. Es gibt für solche Situationen keine verhaltensrelevante Orientierung. So ist der Ausschluss ein doppelter: Zum einen ist da das natürliche Bedürfnis nach täglicher, intensiver Pflege, und zum anderen die Angst der Gesellschaft vor dem Tod, für den diese Menschen unvermeidbar stehen. Der elementare Zweck von Gemeinschaft, und damit der Gesellschaft, ist es aber, für die Unsichtbaren zu sorgen. Hier liegt die höchste, unumstößliche Pflicht von Politik. Dennoch sondern Trennlinien die kranken und behinderten Körper von der gesunden Bevölkerung. Das betrifft Trennungen in den Köpfen. Das betrifft Kunst und Künstler.

 

Das Projekt Final Fantasies möchte einerseits den Blick von Künstlern auf diesen unsichtbaren Teil der Gesellschaft lenken und andererseits die Kranken und Sterbenden in das Blickfeld des Publikums holen. Es ist dies tatsächlich das beste denkbare Publikum, scheinen doch angesichts eines bevorstehenden Endes große Teile des Lebens plötzlich ihren Wert zu verlieren. Was bleibt, ist das Verlangen, die allerwichtigsten Dinge zu verhandeln und auszudrücken. Kunst, die Galerien und Museen überschwemmt, kann durch behutsame und kluge Einsichten als Geleit dienen und als existenzielles Werkzeug für den letzten, zumindest schwierigen, Abschnitt des Lebens.

von Joanna Rajkowska

Joanna Rajkowska ist Künstlerin und Mitglied von Krytyka Polityczna (Politische Kritik). Sie lebt und arbeitet in Warschau, London und nun auch Berlin.

„Born in Berlin” von Joanna Rajkowska

Ich beschloss, meine Tochter Rosa im Berliner Krankenhaus Charité zur Welt zu bringen. Diese Stadt war der erste Ort, an dem sie Kontakt zur Welt aufnahm. Ihr ganzes Leben lang wird sie von nun an auf die Frage: „Wo wurdest du geboren?” antworten: „In Berlin”. [...]Mehr >

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