FORGET FEAR

Die erste Publikation der 7. Berlin Biennale

herausgegeben von Artur Żmijewski und Joanna Warsza.

 

„Die erste Publikation der 7. Berlin Biennale – Forget Fear – ist ein Bericht von zielgerichteten Aktivitäten in der Kultur und von künstlerischem Pragmatismus. Im Vordergrund stehen konkrete Handlungen von KünstlerInnen, KuratorInnen und PolitikerInnen, die zu sichtbaren Folgen geführt haben. Es ging uns darum, Antworten zu finden, nicht Fragen zu stellen. Uns interessierten Situationen, in denen wir Lösungen vorschlagen und verantwortungsvoll umsetzen konnten. Uns interessierte es weder, künstlerische Unantastbarkeit aufrecht zu erhalten, noch uns von gesellschaftlichen Anliegen zu distanzieren. Wir verstehen Politik als eine der komplexesten und kompliziertesten menschlichen Handlungen. Wir waren auf der Suche nach Menschen – KünstlerInnen, AktivistInnen, PolitikerInnen –, die sich mit ihrer Kunst in realer Politik engagieren.

 

Die Interviews beinhalten Gespräche mit PolitikerInnen, darunter der ehemalige Bürgermeister Bogotás, Antanas Mockus, der mit seiner politischen, von der Kunst geprägten Theorie maßgeblich zum sozialen Wandel beigetragen hat; der Theaterregisseur Árpád Schilling, der das bürgerliche Theater verlassen hat, um direkt im rechtsgerichteten Ungarn zu handeln; die Gruppe Voina, die an eine Kunst ohne Engagement nicht glaubt; Timea Junghaus, die mit ihrer Kunst gegen die Unterdrückung der Roma in Europa kämpft; die brasilianische Sprayer-Gruppe Pixadores, die einst die São Paolo-Biennale angegriffen hat; oder die Best-Party, die nach der Bankenkrise 2008 in Island an Einfluss gewann. Alle diese AkteurInnen nutzen performative Werkzeuge, um ihre Anliegen zu formulieren und um das Ausmaß der sozialen und politischen Kräfte und Interessen zu offenbaren, die sonst im Hintergrund verborgen bleiben. Mit der ersten Publikation präsentieren wir links-politisches Engagement nicht nur als kritische Haltung, sondern als Selbstemächtigung und als Grundlage produktiver, politischer Praktiken.“

 

 

Mit Beiträgen u. a. von Paweł Althamer, Gábor Bakos, Yael Bartana, Einar Örn Benediktsson, Daniel Blatman, Christian Boltanski, Galit Eilat, Olafur Eliasson, Julián García, Jón Gnarr, Jan Tomasz Gross, Jerzy Hausner, Péter Juhász, Gideon Levy, Renzo Martens, Antanas Mockus, Joanna Mytkowska, Luis Ospina, den Pixadores, Srđa Popović, Alison Ramer, Dorota Sajewska, Árpád Schilling, Marcin Śliwa, Igor Stokfiszewski, Hans-Christian Täubrich, Joanna Tokarska-Bakir, Fernando Vallejo, der Künstlergruppe Voina, Zofia Waślicka und Rafał Żurek sowie einer CD von Teresa Margolles.

 

Deutsch

416 Seiten

15,4 x 21,5 cm (Hochformat)

Broschur, leinengebunden

mit 51 Abbildungen, davon 19 in Farbe

28 Euro, in der Ausstellung 25 Euro

Erscheinungsdatum: 22. Februar 2012

 

ISBN: 978-3-86335-128-1

 

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“Forget Fear” – ein Vorwort von Artur Żmijewski

Diese Publikation dokumentiert Schritte auf dem Weg hin zu echter Veränderung in unserer Kultur, hin zu künstlerischem Pragmatismus. Beschäftigt haben uns hierbei konkrete Handlungen, die zu greifbaren Ergebnissen führen. Statt nur Fragen zu stellen, haben wir nach Antworten und Situationen gesucht, die Lösungen verantwortungsvoll umsetzten. [...]Mehr >

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Kommentare

  1. Gudrun Wollmann

    FORGET FEAR, ich glaub’s nicht!
    Nun denn, bevor es Ihnen zu wohl wird ein Zitat aus der Central-Verein-Zeitung, Blätter für Deutschtum und Judentum vom Januar 1933:

    „…..Wesentlich in allen drei aufgeführten Fällen ist das Auftreten der den echten Massenwahn kennzeichnenden Erscheinungen: Spaltung des Bewusstseins der Befallenen – daher die Erscheinung, dass der vom Massenwahn Ergriffene auf anderen Gebieten des Denkens gleichzeitig ganz normal arbeitet – Urteil nach zweierlei Maß und Schmerzempfindlichkeit gegen Aufklärung.
    Die moderne Wissenschaft führt nun diese merkwürdige und vernunftwidrige geistige Haltung auf eine einzige Ursache zurück, die in einer unveränderlichen menschlichen Eigenschaft begründet liegt: Die menschliche Seele kann Unrecht nicht dulden; der normale Mensch verlöre in dem Augenblick, da er Unrecht duldete, seine moralische Selbstachtung. Aber der Mensch, besonders als Angehöriger irgendeiner Schicksals- oder Verantwortungsgemeinschaft, ist nicht immer, sondern sehr selten Herr der Lage. Ist es ihm nun aus irgendwelchen Gründen verwehrt, gegen das Unrecht, das einem Opfer geschieht, einzuschreiten, es abzustellen, gutzumachen, also sich seelisch zu entlasten, so flüchtet er unbewusst auf eine andere Art aus der Verantwortung, indem er nämlich das Opfer für schuldig hält und das ihm angetane Unrecht als gerechte Strafe betrachtet. Hat der Mensch nicht so gehandelt wie er, wenn er frei von Ängsten und Schwächen wäre, als freier, stärkerer und verantwortungsmutiger Mensch hätte handeln sollen, so verfällt er auf den Ausweg des Selbstbetruges und schiebt dem Opfer die Schuld zu……“

    „… Die Stellung des Einzelmenschen im Universum und zu den konkreten geschichtlichen Gemeinschaftsformen ist eines der Kernprobleme der Ethik. Diesem Problem gegenüber hat die Geschichte des Denkens im wesentlichen drei Haltungen herausgebildet: die eine will das Individuum von allen sozialen Bindungen loslösen, wobei sie ihm entweder den unmittelbaren Weg zum Universum öffnen will oder aber, alles Überindividuelle leugnend, das konkrete Dasein des Einzelnen zum obersten Wert erhebt. Die andere wertet den Einzelnen nur als Glied seiner Gemeinschaft, der er zu dienen und zu opfern hat. Die dritte sucht eine Synthese; sie bejaht die Gemeinschaft, ordnet jedoch das Leben des Einzelnen in der Gemeinschaft und für diese in höhere Bezüge ein, in die Verantwortung vor einem universalen Wesen, mag dies Gott heißen oder mit dem Wort Menschlichkeit umschrieben sein…… ”

    Aus: Der Morgen, Monatszeitschrift der Juden in Deutschland; Oktober 1938; Berthold Weinberg; zu Martin Bubers Lehre von der Verantwortung; Ein offener Brief an Martin Buber

  2. Sergio Gandossi

    most often are the social economic situations that determine the evolution and mentality … the problem is .. to evolve a different theoretical approach leads to a different solution to the same problem ….
    what kind of mentality is that of today’s society …
    il più delle volte sono le situazioni economico sociali che determinano l’evoluzione e la mentalità …il problema sta nel evolvere ..un diverso approccio teorico determina una diversa soluzione allo stesso problema….
    che tipo di mentalità è quella della società odierna…

  3. Sergio Gandossi

    I appreciate those who fight for what she believes…….
    Apprezzo chi lotta per quello in cui crede……
    Sometimes the questions we somo answers …..
    A volte nelle domandi ci sono le risposte….. arrivederci

  4. Sergio Gandossi

    Non dimentichiamoci che tutti questi esami …daranno dei risultati….a volte si può agire
    in modo culturale artistico prendendo posizione anche in ambito estetico.. ogni sceltà espositiva da risultati e conseguenze…quello che rammarica è tutta questa senzazione di infinita repressione…..per intervenire e modificare bisogno entrare..e partecipare …
    le azioni che sembrano…. strappate alla legalità..il più delle volte vengono soffocate…e rimane poco di quello che poteva essere un idea….

    Vergessen Sie nicht, dass all diese Tests … sie schlüssig sind …. manchmal kann man handeln
    so Cultural Arts stattfindet, auch innerhalb der ästhetischen Wahl zeigt alle Ergebnisse und Konsequenzen bedauert … was ist das ganze Gefühl von unendlicher Repression ….. müssen eingreifen und .. kommen und besuchen …
    die Aktionen, die scheinen …. zerrissen von dem Gesetz .. in den meisten Fällen sind erloschen … und wenig bleibt von dem, was könnte eine Idee sein ….

  5. Sergio Gandossi

    nevertheless I Sebra you enjoy your
    The biennial has long since started
    ciò nonostante mi sebra che vi stiate divertendo
    la biennale è da molto che è iniziata

  6. Jörg Finus

    Forget Fear…?

    Die BB7 und das gallery weekend in Berlin eröffnen zeitgleich. Amüsant und aufschlußreich ist es die jeweiligen Ankündigungen und Selbstdarstellungen miteinander zu vergleichen. Das gallery weekend: als “eines der erfolgreichsten Markenzeichen der Stadt…der catwalk der internationalen Kunstcommunity,“ der sich trifft, um die “besonders heißgehandelten newcomer“ zu entdecken (s. Berliner Zeitung 26.4.) Das Vorwort zum Katalog der BB7 wiederum spricht davon, dass das was der Kunst in ihrer gesellschaftspolitischen Ohnmacht bleibt, ein „inszeniertes Spektakel“ sei.
    In seinem Vorwort zum Reader der biennale ‚Forget fear‘ fordert Artur Zmijewski (im folgenden A.Z) eine Neudefinition des Politischen im Rahmen der Kunst. Ich selbst, bildender Künstler und außenstehender Beobachter der ‚Kunstszene‘, fand diesen Text interessant und in vielen Aspekten recht treffend, zum Teil aber auch fragwürdig. Angeregt durch diesen in meinen Augen sehr notwendigen Diskussionsbeitrag, versuche ich mich hier mit einigen Ideen und Forderungen dieses ‚Manifests‘ auseinanderzusetzen.

    Das Politische in der Kunst ?
    Gehen wir davon aus, dass jede Positionierung innerhalb einer Gesellschaft politisch ist und zwar unabhängig davon, wie sie sich selbst definiert. Das gilt für die Haltung von KünstlerInnen, ebenso wie für jeden anderen Menschen. Auch eine behauptete, scheinbar apolitische Haltung bestätigt den gesellschaftlichen status quo, bzw. überlässt Veränderungen andern Akteuren. Definieren wir also in dem Sinne ‚politisch‘ als eine Haltung, die sich zumindest über die Tatsache im Klaren ist, dass sie, in welcher Form auch immer, Anteil und Verantwortung an der Gestaltung von gesellschaftlichen Prozessen hat.
    Der Begriff des ‚Politischen‘, wie er im Rahmen der von den MacherInnen der 7. Berlin Biennale angeregten Diskussion um die politischen Rolle der Kunst und der KünstlerInnen benannt wird, geht natürlich darüber hinaus. Politisch in diesem Sinne ist eine künstlerische Haltung, die sich um gesellschaftliche Veränderung und Verbesserung bemüht, nein, nicht nur bemüht, sondern aktiv und ‚messbar‘ zu dieser Veränderung beiträgt. Bezogen auf den Bereich der Kunst, geht es um das Engagement, nicht ums theoretisch-symbolische, vielmehr ums praktisch-konkrete. Weniger Fragen, mehr Antworten!
    Der vorgelegten Analyse einer Kunstszene, deren Mechanismen die glanzvolle Trostlosigkeit kapitalistischen‘ Wettbewerbsgehechels‘, wiederspiegeln, kann man dem Manifest von A.Z. in weiten Teilen nur zustimmen… es bleiben jedoch Fragen (…und wieder keine Antworten…)
    Reden wir also darüber, in welchem gesellschaftspolitischen Kontext die BB7 stattfindet, welche Forderungen die Macherinnen an die Kunst/ KünstlerInnen stellen, aber auch davon, was politisches Engagement innerhalb der westlich dominierten Kunstszene bedeuten kann…und versuchen wir mal ehrlich zu sein…
    Dazu einige Thesen
    1. Das was politisch in der Kunst ist, ist niemals unabhängig vom gesellschaftlichen, politischen Kontext, in dem sich die Kunst befindet, bzw. wo sie präsentiert wird. Das Politische, das Subversive oder Oppositionelle, ist in zweck- bzw. profitorientierten oder sog. neoliberal-kapitalistischen Gesellschaften, etwas ganz anderes, als in Gesellschaften, in denen die politische Sphäre durch autoritäre Herrschaftsstrukturen geprägt ist. Diese wichtige Unterscheidung fällt häufig unter den Tisch und auch A.Z. macht, so scheint es mir zumindest, kaum den Versuch, diesen Umstand zu analysieren. Es ist in diesem Zusammenhang interessant die Verschiebung der gesellschaftspolitischen Bedeutung oppositioneller Kunst aus politisch autoritären Gesellschaften zu beobachten, wenn diese in den Fokus des ‚westlichen‘ Kunstsystems geraten, und damit in die Sphäre der Autorität des Ökonomischen, treten. Der aktuelle Hype beispielsweise um chinesische Oppositionskünstler, lässt sich hier nicht nur in bare Münze verwandeln, er dient hierzulande gleichzeitig als Beweis der Überlegenheit des eigenen hervorragenden Demokratieverständnisses. Die tatsächliche gesellschaftspolitische Sprengkraft, die sich aus dem Mut des Künstlers/ der Künstlerin und ihres Werkes ergibt und für die diese häufig einen hohen persönlichen Preis bezahlen, schlägt sich dann in der internationalen ‚Kunstcommunity‘ in einem hohen Preis nieder, den liquide Käufer an die kommerziellen Trittbrettfahrer für das ‚neue Ding aus Fernost‘ -oder wo auch immer her- bezahlen…
    Wenn man die wechselnden ‚hypes‘ der letzten Jahre im Zusammenhang mit ‚politischer Kunst‘ leidenschaftlos betrachtet, fällt auf wie sich die trends, von Balkan über China, arabische Welt und nun im Zusammenhang mit der BB7, vielleicht für eine Saison ‚Osteuropa‘, ähnlich den Kollektionen der Modewelt ablösen. Um ehrlich zu sein, irgendetwas an dem Rummel um Ai Weiwei, stimmt nachdenklich und scheint verlogen.( es geht dabei nicht um eine Beurteilung der künstlerischen Arbeit von Ai Weiwei und es soll hier natürlich nicht in Abrede gestellt werden, dass der öffentliche Druck und die Freilassung von Ai Weiwei zu begrüßen war und ist..)
    Trotzdem wirkt der berechtigte und bewundernswerte Kampf vieler oppositioneller KünstlerInnen aus Gesellschaften, in denen Freiräume für KünstlerInnen und Kunst massiv bedroht werden, im Kontext des Kunstmarkts und des herrschenden ‘westlichen‘ Kunstdiskurses merkwürdig instrumentalisiert. Um mit den Worten von A.Z. zu sprechen, geht es mir bei zahlreichen Ausstellungsbesuchen mit ‘explizit politischer Kunst‘ in den letzten Jahre so, dass ich mich in so einer Situation eher erschöpft und der Depression nahe fühle. Denn auch hier zeigt sich ja weniger die von A.Z geforderte Messbarkeit der Veränderung von gesellschaftlichen Verhältnisse, als vielmehr ein unter Beweisstellung der korrekten Haltung der KünstlerInnen, KuratorInnen und des Publikums.

    2. Die sog. politische Kunst, die nicht zweckfrei sein soll, sondern sich durch ihre politische Relevanz bzw. dadurch messbare politische Folgen auszeichnen soll, bleibt im Rahmen des durchgesetzten neoliberalen Kunstsystems selbst meist symbolisch und/oder folgenlos.

    Dies geschieht meist ungeachtet der selbstformulierten Ansprüche und Verlautbarungen.
    D.h. nicht der Inhalt, das Erwünschte, Richtig Gemeinte und Richtig Behauptete entscheidet über die Relevanz des Kunstwerks, als vielmehr der gesellschaftliche Spielraum, in dem dieses Kunstwerk stattfindet oder rezipiert wird.

    Gehen wir nicht so weit und nehmen als Beispiel die Kunstwerke von A.Z. selbst: Gezeigt im Rahmen von Kunstevents wie div. Biennalen bleibt bestenfalls ein Schauder der Tabuverletzung. Diese ist letztlich unerlässliches Elixier für die Unersättlichkeit des nach Neuem schreienden Systems der Kunst. Im Zusammenhang des künstlerischen Tabubruchs (mit Vorliebe irgendwas mit Juden und Nazisymbolik) kreist der Kunstberg dann zwar nicht mehr allein gelassen im ‚white cube‘, sondern beachtet in den Medien und gebiert dann letztlich doch nur die besagte Maus…mit den immer gleichen Diskussionen: darf man das? Nein,pfui! die einen. Ja, man muß! die anderen…

    Würde sich das Politische nicht vielmehr in der Haltung des Künstlers zeigen, sich auch ehrlich mit diesen Rahmenbedingungen des Ausstellungs- und Rezeptionszusammenhangs auseinanderzusetzen, sich diesem gegebenenfalls auch zu verweigern, als in der ( dann auch schon mal kontextfreien) Vermittlung seines Werks auf dessen politischen Inhalt zu verweisen? Natürlich kann auch politische Kunst ihren Kontext hervorragend durch den von A.Z. kritisierten kunstphilosophischen ‚Neu-Sprech‘ herbeireden und schön reden. Die biennale zeigt dafür genügend Beispiele. Die Runenbotschaften in Mitte Schickeria- Schaufenstern rund um die Auguststrasse, „Kontextverschiebung“ … mal ehrlich, so what?

    Natürlich entzünden sich an politisch-provokanten Arbeiten mehr Diskussionen, als an einer abstrakt gestalteten Bildfläche und seit Jahren wiedergekäuten unvermeidlichen geometrischen Förmchen in jeder zweiten Ausstellung, die Frage sei aber gestattet, ob politische Werke wie diese, den selbstaufgestellten Kriterien politischer Messbarkeit von gesellschaftlichen Veränderungen, kritisch standhalten . Welche Verbesserung bringen diese Arbeiten und für wen? (Reden wir mal nicht vom Imagegewinn der Sponsoren)
    Darüber hinaus zeigt sich bei kritischer Betrachtung, dass auch vermeintlich oppositionelle, tabubrechende und radikale künstlerische Ansätze hervorragend in die Verwertungsmaschinerie des Kunstmarkts integriert werden können und auch tatsächlich integriert werden, oder eben wie A.Z. selbst schreibt, als Feigenblatt für die vermeintlich liberale Haltung des bildungsbürgerlichen Publikums dient.

    3. „Das reicht doch nicht“… „ Das reicht euch doch auch nicht“ (kill your darlings, Rene Pollesch)

    Das Konzept des pragmatischen, ergebnisorientierten und an seiner Funktionalität messbaren Kunstwerks ist, im Rahmen einer Gesellschaft, die genau auf diesen Prinzipien basiert, problematisch.
    Die Frage stellt sich, ob innerhalb der herrschenden Vermarktungslogik nicht eine Verweigerung jeglicher Verwertbarkeit, (letztlich auch der politisch ideologischen), anzustreben wäre.
    Der Kunstmarkt mit all seinen absurden Auswirkungen, auch auf die künstlerische Produktion und die Persönlichkeitsstruktur ihrer Produzenten, den KünstlerInnen, wird in diesem Zusammenhang tatsächlich zu Recht kritisiert. Nichts ist alberner, als die Annahme, dass in sog. liberalen Gesellschaften eine freie Kunstproduktion, bzw. die sie dirigierende Kunstvermittlung, herrscht. Die massive Konkurrenz um Geld, Aufmerksamkeit, Anerkennung, Netzwerke, Galerien, Ausstellungen, Ateliers; Stipendien etc. schafft ja völlig unfreie Individuen, die ihre Produkte und sich selbst permanent vermarkten müssen. In diesem Sinne werden alle Akteure auf dem Kunstmarkt, seien es KuratorInnen, GaleristInnen oder auch KünstlerInnen zu konkurrierenden Waren und Werbeunternehmen in eigener Sache. Nicht nur die Erfolglosen in diesem System, auch die Erfolgreichen sind ja in dem Sinne nicht frei, wie sie in permanenten Wettbewerben um Inklusion und Exklusion miteinander konkurrieren.
    Es ist zu beobachten: Niemand entwertet die Kunst häufiger, als die versammelten Akteure der sog. Kunstszene auf ihrem jeweiligen Egotrip. Die Fragen nach dem wer, wo, mit wem, wieviel ?, überlagern längst die Auseinandersetzung mit der Kunst selbst.
    Kein Wunder, dass auf dem Hintergrund dieses Hauen und Stechens, der Selbstprofilierung, Anerkennungs- und Status-und Sensationssucht, alle Welt außerhalb der Kunstwelt, den hehren politischen Absichten dieser Kunstszene misstraut.
    Wo kurzfristige Trends herrschen, ist es auch mit der politischen Nachhaltigkeit nicht weit her. Wo es um persönlichen Ehrgeiz geht, werden andere gerne instrumentalisiert. Es stellt sich ernsthaft die Frage, ob diejenigen, die politisch was verändern wollen, nicht ehrlicherweise den Einflussbereich der Kunst verlassen sollten.*(Stichwort Pragmatismus)
    Den Preis des Statusverlust sind aber die wenigsten KünstlerInnen bereit zu bezahlen.

    Um im Kunstsystem, im gesellschaftlichen System, auf dem Arbeitsmarkt, dem Markt der sozialen communities usw. zu bestehen, bedarf es natürlich eines ausgeprägten Sinn für Funktionalität, Ergebnisorientierung und gut eingesetzten Einsatz von Ressourcen. Es bedarf Menschen, die sinnvoll handeln, funktionstüchtig sind, pragmatisch, die den Wert ihres Handels nach dem was ‚unterm Strich rauskommt‘ beurteilen und danach beurteilt werden, kurz: das was du bist und was du tust, muss einen Nutzen haben.

    Aus der Position von Menschen, die unter diesen Umständen leiden, scheint die Ablehnung und Verweigerung dieser Ansprüche immer mal wieder hervorzubrechen. Nicht- Funktionieren-Wollen scheint ein geradezu natürliches Bedürfnis zu sein. Allein der Zwang mitspielen zu müssen verhindert ja zumeist dem eigentlichen Bedürfnis nachzugeben, nicht mehr mitzumachen, etwas nutzloses zu tun, sich an scheinbar nutzlosem zu erfreuen, nichts produzieren zu müssen zu einem bestimmten Zweck.
    „das nutzlose bleibt liegen, das nutzlose wird siegen, also züchte ich mir Staub, Entschuldigung, das hab ich mir erlaubt…“ (Tocotronic)

    Die Kunst könnte der Raum sein für die Verweigerung von Mehrwert-getriebenen Denken und Handeln. Viele KünstlerInnen, mich eingeschlossen, erhofften sich zu Anfang ihrer Tätigkeit sicherlich einen solchen ‚Freiraum‘ vorzufinden und zu erobern; dass sie sich täuschten ist offensichtlich.
    Was wäre in diesem Zusammenhang für KünstlerInnen politisch, oder politisch sinnvoll?
    Ich rede hier explizit nicht von KünstlerInnen, die in ihrem Tun von außen gehindert und politisch unterdrückt werden. Ich rede nicht stellvertretend.
    Ich rede von KünstlerInnen, die selbst dazu beitragen den Freiraum den die Kunst bedeuten könnte, zu beschränken. KünstlerInnen, die Interesse an anderen KünstlerInnen nur dann entwickeln, wenn es zum eigenen Vorteil gereicht. Die Netzwerke nur für das eigene Karrierefortkommen bilden. Freiräume nur dann und dort und nur solange entwickeln, wo und wie es schick und opportun ist. Ginge es nicht darum, eigene politische Ziele zu verfolgen, anstatt sich wechselnden Patenschaften und Stellvertreterthemen zu verschreiben? Verweigerung und aktive Suche und Gestaltung von Orten jenseits der Funktionalitätsprinzipien des Bestehenden, Orte in denen Nutzlosigkeit, Zwecklosigkeit, tatsächliche künstlerische Freiheit einen Raum finden…wollen wir diese Möglichkeiten und Potentiale, die in der Kunst stecken, und sich leider immer häufiger verstecken, auf Pragmatismus in der Kunstproduktion und tagespolitischen Geschäft beschränken? Wenn wir ehrlich sind, glaube ich nicht, denn dafür sind wir eben KünstlerInnen und keine Politiker geworden. Wir glauben häufig leider selbst nicht mehr an die Potentiale/ Möglichkeiten der Kunst. (der Text von A.Z. selbst ist ja ein gutes Beispiel)

    Sollten aus KünstlerInnen wirklich Politiker werden, oder wäre es nicht besser, wenn sich KünstlerInnen wieder als politisch verstehen, indem sie sich gemeinsam um Belange zur Herstellung ihrer eigenen, verlorenen, tatsächlichen inhaltlichen Autonomie kümmern? Autonomie heißt dabei nicht Individualismus und Egozentrik. Die Forderung politisch einzugreifen ist richtig. Unterdrückung , nicht nur von anderen KünstlerInnen weltweit entgegenzutreten, ist richtig.
    Die Frage nach politischer Einmischung sollte sich in meinen Augen weniger an den Inhalt künstlerischer Arbeit richten, und nicht versuchen konkrete inhaltliche bzw. politische Ansprüche zu formulieren. Der Appell für politische Einmischung kann an KünstlerInnen, als ,soziale Wesen´ ( als von Rassismus und Ausgrenzung Betroffene, als Mieter, als ‚Nutzlose‘, als Arbeitende und natürlich auch als KünstlerInnen) ,wie an jeden anderen Menschen gerichtet werden.
    Die Forderung nach politischem Engagement im Bereich der Kunst sollte dazu führen, die Wege auf denen sich die Kunst in die Gesellschaft verbreitet in Frage zu stellen. Sie sollte zu der Frage führen, wer die ‚richtigen‘ Adressaten, Orte, Partner für Kunst sind. Nicht die Kunst muss wieder politisch sein, sie ist was sie ist, sie kann sein was sie will, sie darf was sie will, sie muss gar nichts müssen…der Rahmen, in dem sie stattfindet und sich positioniert, ist das Politische, um das es geht.

    4. Unabhängig von den ausgeführten Kritik am System Kunst, bleibt die Frage nach der behaupteten Wirkungslosigkeit künstlerischen Schaffens, wenn es sich nicht, wie gefordert, in den Dienst des pragmatisch Politischen stellen mag. Ich habe oben bereits festgestellt, dass oftmals KünstlerInnen selbst nicht mehr an die Potentiale der Kunst glauben…
    Trotz, dass der Gedanke der Effizienz, im Kontext der Kunst grundsätzlich abzulehnen ist, stellen sich anhand des Textes von A.Z. Fragen:
    Welcher Impulse bedarf ein aktives politisches Handeln?
    Wer beurteilt was folgenlos bleibt?
    Wie entsteht das Politische?
    Können politikferne Areale, wie z. B. ‘ Schönheit‘, keinen Impuls für politisches Handeln geben?
    Ist die Herstellung eines Stuhles sinnlos, nur weil niemand mehr bereit ist sich hinzusetzen?
    Ist die Kunst sinnlos, nur weil niemand ihren Fragen Aufmerksamkeit schenken mag?
    Ist ein Klang, eine Farbe überflüssig, weil sie keine Aussage enthalten?
    Würden wir der Musik mit gleichen Forderungen begegnen?(…sollen wir jetzt alle Protestsongs schreiben? …nichts gegen Protestsongs…)
    Die These, dass nur das explizit Politische in der Kunst zu Impulsen für politisches oder gesellschaftlich verantwortlichem Handeln führen könnte, ist nicht nur absurd, sondern auch anmaßend. Die Gleichung: Politische Kunst= Politisches Bewußtsein ist nicht nur zu einfach, häufig geht sie noch nicht mal auf. Die Wege, die Kunst, gleich welcher Gattung, gehen kann, um Nachdenken, kritisches Bewusstsein, Empathie, Engagement, Realitätsbefragung hervorzurufen, sind komplex und ihre Mittel sind glücklicherweise vielfältig. Das, was Menschen‘ berührt‘ kann politisch, persönlich, quadratisch, rund, intellektuell, sinnlich, nutzlos, effizient…sein. Ob es Menschen ‚berührt‘ macht wahrscheinlich den Unterschied von guter zu schlechter Kunst aus. Weder die Forderung nach politischer Wirksamkeit, noch die Marktmechanismen des Kunstsystems sollten diese Vielfalt beschränken.

    Jörg Finus, April 2012

    *oder erst gar nicht suchen sollten (wie z.B.die occupy Bewegung in den KW)

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