VORWORT AUS DER ZEITUNG ACT FOR ART (AUSZUG)

von GABRIELE HORN

 

Noch nie hatte eine Berlin Biennale für zeitgenössische Kunst bereits im Vorfeld eine derartige internationale Präsenz und kontroverse Resonanz – nicht nur in den Medien, sondern auch unter KünstlerInnen und KollegInnen. Und es war in den vergangenen Monaten selbst im eigenen Umfeld überaus auffallend, wie oft Teammitglieder oder auch ich selbst nach dem allgemeinen beruflichen und persönlichen Wohlbefinden besonders „unter” Artur Żmijewskis Kuratorenschaft der 7. Berlin Biennale gefragt worden sind. In der Regel lag in der Stimme des Gegenübers höchster Respekt, begleitet von aufrichtiger Anteilnahme. Was macht diese Berlin Biennale nun so anders, und warum steht sie derart unter Beobachtung?

 

Die international besetzte Findungskommission (Jacob Fabricius, Malmö Konsthall; Bartomeu Marí, MACBA – Museu d’Art Contemporani de Barcelona; Matthias Mühling, Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München; Joanna Mytkowska, Museum für Moderne Kunst Warschau; und Hoor Al Qasimi, Sharjah Biennial) hatte im September 2009 einstimmig den international bekannten polnischen Künstler Artur Żmijewski als Kurator für die diesjährige Berlin Biennale nominiert. Żmijewski gilt nicht nur als institutionskritisch, sondern er ist in seiner künstlerischen Arbeit auch bekannt dafür, dass er Tabus bricht, Medienskandale provoziert und Grenzen überschreitet. In seinem kuratorischen Konzept legt er den Fokus auf Projekte mit nachhaltiger politischer Wirkung – jenseits des Mainstreams und des Entertainments. Żmijewski hat die Gruppe Voina aus Russland und Joanna Warsza aus Warschau zu assoziierten KuratorInnen berufen, die gemeinsam mit ihm das Konzept und Programm der 7. Berlin Biennale weiterentwickelt haben.

 

Als Kurator der 7. Berlin Biennale fordert Żmijewski vorbehaltlos eine gesellschaftliche Wirkung von Kunst ein und attackiert damit – nahezu ikonoklastisch – das Konzept einer autonomen Kunst bei gleichzeitiger Voraussetzung und Inanspruchnahme ihres geschützten Raums. Ein Ansatz, der – blickt man auf die gegenwärtigen ökonomischen und sozialen Kontexte, auf die politische Weltlage und die Bewegtheit ganzer Systeme – durchaus seine Berechtigung hat, wenn nicht sogar notwendig erscheint, und der es verlangt, Grenzen zu überschreiten. Wenn diese Überschreitungen jedoch soziopolitische Themen betreffen, die sich höchst komplex und sensibel in die jeweilige nationale Erinnerungskultur und Ideologieproduktion eingeschrieben haben, rufen sie Kontroversen hervor, die viel weiter gehen als das, was eine Institution der zeitgenössischen Kunst normalerweise auszuhalten hat: eine Herausforderung für das Team, die Institution sowie alle Förderer und Unterstützer.

 

Avantgardistische und kritische künstlerische Praktiken sind in der Regel von Provokation und Polarisierung gekennzeichnet. Jedoch ist das alles unter dem Aspekt der Freiheit der Kunst für jede Institution ausstellbar und findet als Artefakt ganz selbstverständlich Eingang in öffentliche wie private Sammlungen. Dort sitzt man dann mitunter mit dem Champagnerglas in der Hand – wie jüngst auf der „Kunstmarkt“- Seite einer großen deutschen Tageszeitung beschrieben – neben Jenny Holzers Schreckensbotschaften über die Vergewaltigungen und Misshandlungen im Bosnienkrieg. Und man fragt sich zu Recht: Ist es vielleicht eine Seifenblase, in der wir uns da bewegen?

 

Ist das Aufzeigen von Missständen bereits ein kritischer Akt? Verändern wir etwas allein dadurch, dass wir kritische künstlerische Positionen ausstellen? Oder schaffen wir damit lediglich ein Identifikationsangebot ohne praktische Konsequenzen? Arbeitet nur die Kunstvermittlung mit handlungsorientierter Perspektive, oder können Kunst- und Realitätsproduktion wirklich eins sein, so wie Artur Żmijewski und die assoziierten KuratorInnen Voina und Joanna Warsza es einfordern? Und was heißt das für die Kunst und ihre Institutionen?

 

Nachdem sich Kunst und KünstlerInnen in der westlichen Welt in den 1970er-Jahren verstärkt politisiert hatten – in New York beispielsweise mit Art Strikes, in Deutschland unter anderem mit Joseph Beuys, der für die Grünen kandidierte –, folgte eine Zeit des Abstands beziehungsweise der kritischen Beobachtung. Die Welt beruhigte sich wieder, zumindest an der Oberfläche. Der Konfliktlage zwischen zwei Systemen, einem kapitalistischen und einem sozialistischen, folgte nach dem Fall der Mauer 1989 eine globalisierte und harmonisierte Sicht in eine nicht weiter definierte Zukunft. Der 11. September 2001 markierte eine gravierende Zäsur und die Eröffnung des Krieges der westlichen Staaten gegen den Terrorismus. Auseinandersetzungen finden heute überwiegend anderswo statt; obwohl wir bestens informiert sind, vermittelt durch die unterschiedlichsten Medienkanäle, scheint uns der Ort der Ver- und Aushandlung gesellschaftlicher und politischer Veränderungen, der Ort für zivilen Ungehorsam, für Partizipation und für politische Kultur erst einmal – trotz essenzieller politischer und ökonomischer Schieflagen – abhanden gekommen.

 

Eine Biennale, die nur temporär eine begrenzte Öffentlichkeit erreicht, kann diesen Ort nicht ersetzen. Haben vielleicht Museen, Kunstvereine, Institutionen der zeitgenössischen bildenden Kunst die Möglichkeit oder sogar die Aufgabe, gesellschaftlich-politische Bewegungen zu unterstützen und selbst eine emanzipatorische Kraft zu entwickeln, kurz: den Betrachter zum Bürger werden zu lassen? Wie sieht es aus angesichts der zunehmenden Kommerzialisierung von Kunst und Kultur, der Entwicklung der »Visual Industries«? Hat dies zur Schwächung der Institutionen beigetragen? Das Unkonventionelle, Eigensinnige, Radikale, die Obsession und die inneren Notwendigkeiten künstlerischer Produktion sind in den vergangenen Jahren / Jahrzehnten durch das Berechenbare, das Marktkompatible, die kurzfristige Wirkungsabsicht und den Businessplan ersetzt worden. Die Institutionen sind zunehmend den Anforderungen einer neoliberalen Eventökonomie ausgesetzt. Ihr Bildungsauftrag weicht nicht selten einem populären Konsumauftrag. Bestenfalls haben die Institutionen sich als Plattform für kritische Positionen behauptet. Aber müssen wir nicht verstärkt daran arbeiten, dass die eigentlich emanzipatorische Wirkungskraft durch diese Entwicklung nicht zunehmend infrage gestellt wird?

 

Gerade deshalb ist es von unschätzbarer Wichtigkeit, dass die Berlin Biennale sich seit ihrer ersten Ausgabe 1998 zu einem Format entwickelt hat, das weitestgehend abseits der Marktkompatibilität und der schwierigen Lage der Institutionen einen Freiraum bietet, in dem Konzepte wie auch Experimente in zeitgenössischer Kunst- und Kulturproduktion erprobt und weiterentwickelt werden können – auch wenn es mitunter konfrontativ, grenzüberschreitend oder gar schockierend werden kann. Es ist außergewöhnlich und von größtem Wert, dass die Kulturstiftung des Bundes die Berlin Biennale seit 2004 jeweils mit 2,5 Millionen Euro fördert und damit auch höchst umstrittene Themen und deren häufig unbequeme Verhandlung ermöglicht. Die Vorbereitungen zur diesjährigen Biennale haben die KW Institute for Contemporary Art nicht nur einmal an ihre Grenzen geführt. Die Zielsetzung Artur Żmijewskis, Kunst mit der Realität interagieren zu lassen, Kunst als Werkzeug für politische Prozesse einzusetzen und die gewohnten Strategien und Arbeitsweisen einer Kunstinstitution weitestgehend auszublenden, waren mehr als nur eine Herausforderung. Die Biennale wurde bereits lange vor ihrer Eröffnung zum Verhandlungsort darüber, was Kunst darf, was Kunst ist, welche Grenzen möglicherweise nicht überschritten werden sollten, was eine Institution und ihre Förderer mittragen können, ab wann es verletzend, deplatziert und zweifelhaft wird – sowohl politisch als auch künstlerisch.

 

Die Institution ist mit dieser Berlin Biennale, in der Artur Żmijewski ohne Rücksicht auf Akzeptanz, Gefühle, Eitelkeiten, Political Correctness, positive Medienresonanz und freundliches Miteinander agierte, ein hohes Risiko eingegangen. Das beinhaltet auch, dass wir heute, kurz vor der Eröffnung dieser Berlin Biennale, nicht wissen, was das Ergebnis sein wird. Eine Ungewissheit, ein offener Prozess, den Żmijewski bedingungslos einfordert; etwas, das sich – gepaart mit radikaler Institutionskritik und einer generellen Ausweitung des Kunstbegriffs – konträr und gegenläufig zu den heutigen Bedingungen institutioneller Arbeit verhält. Dies auszuhalten und für andere Perspektiven produktiv zu machen, mussten wir allesamt lernen.

 

Die Projekte der KünstlerInnen, die Artur Żmijewski, Voina und Joanna Warsza zu dieser Biennale eingeladen haben, sind ohne Ausnahme neue Produktionen, Experimente, die sich in der Realität erproben werden. Ob die gesellschaftliche Funktion von Kunst im Aufzeigen verharrt, ob sie mitunter gerade durch ihre Widersprüchlichkeit produktiv gemacht werden kann, oder ob sie nach dem Kollwitz’schen Motto „Ich will wirken in meiner Zeit” Realität produzieren und Gesellschaft verändern kann, darauf sind wir alle sehr gespannt.

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10. Berlin Biennale