Daniel Miller im Gespräch mit Martin Zet

Daniel Miller: Martin, hattest Du jemals die Absicht, diese Bücher zu verbrennen?

 

Martin Zet: Das war nie mein Plan.  Ich muss sagen, ich bin wirklich fasziniert von der Vorstellungskraft der Menschen hier. Jeder hatte diese unglaubliche Fantasie: 60.000 Bücher in den Flammen! Das offenbart merkwürdigere und interessantere Dinge, als ich erwartet hatte.

 

Dein Aufruf, gemeinsam all diese Bücher zu sammeln, hat Dutzende von Artikeln und Hunderte von Reaktionen hervorgerufen, sogar eine öffentliche Demonstration. Da scheinen ganz eigenartige Vorgänge am Werk zu sein…

 

Weißt Du, ich liebe Bücher. Ich schreibe Bücher, ich mache Bücher, ich sammle Bücher. Ich habe sogar eine Lizenz, die mir erlaubt, Bücher zu publizieren. Aber mit Büchern geht ein irrationales, fetischistisches Moment einher und ich denke, das ist mit der Rolle des Buches in der Vergangenheit verbunden. Als man noch eine sehr beschränkte Anzahl handschriftlicher Manuskripte hatte, waren diese selbstverständlich unantastbar und wertvoll. Aber sobald man Auflagen von hunderten, tausenden Exemplaren hat und ein weltweites Informationssystem, das von überall aus zugänglich ist und alles für die Ewigkeit speichert, ist die Sorge um die physische Kondition von Büchern reiner Fetischismus.

 

Die Entscheidung für das Buch von Sarrazin ist eindeutig relevant. Ich glaube nicht, dass ein Aufruf, sagen wir 60.000 Kopien von Oliver Kahns Autobiografie zu sammeln, eine solche Reaktion ausgelöst hätte…

 

Nein.. Sarrazins Buch rührt tief an Themen der deutschen Gesellschaft und als ich das Buch berührte, betrat ich genau diesen Wirkungsraum. In so einer Situation sind nicht die Worte oder Ideen das Entscheidende; entscheidend ist, was das Buch unter den Menschen repräsentiert. Die ausschlaggebende Frage ist: was ist das Begehren dieses Buches? Was möchte es hervorrufen? Möchte es einfach verkauft werden? Oder hat es eine bestimmte Funktion?

 

Du hast das Buch auf Tschechisch gelesen?

 

Ja, es wurde 2011 von einem Verlag in einer Reihe herausgegeben, die 21. stoleti heißt. Das ist so eine populäre intellektuelle Reihe bedeutender sozialer und politischer Positionen. Aber Dinge geschehen dort anders, als sie in Deutschland geschehen sind. Es gab ein Interview mit Herrn Sarrazin in der Zeitung Lidové noviny, das vor dem Erscheinen des Buches veröffentlicht wurde, und einige Beiträge in den Medien im Nachhinein, aber keine ernsthafte Diskussion. Das Buch wurde als bereits legitimiert präsentiert.

 

Am 21. Januar gab es eine Demonstration gegen Dich auf dem Bebelplatz unter der Prämisse der Unterstützung von Meinungsfreiheit. Wenn man eine provokante Meinung vertritt, ist es verständlich, Meinungsfreiheit öffentlich zu verteidigen. Aber tatsächlich ist diese Doktrin ein Mythos. Meinungsfreiheit gibt es so wenig wie es freie Märkte gibt. Es gibt konkurrierende Märkte und es gibt konkurrierende Meinungsfreiheiten…

 

In den Zeiten des Kommunismus haben wir immer von Demokratie geträumt. Aber gute Schlagworte können natürlich für seltsame Zwecke genutzt werden. Demokratie als Macht in den Händen der Menschen bedeutet zugleich Macht in den Händen der Mehrheit. Es kann schnell passieren, dass die Macht in die Hände von Akteuren gelangt, die wissen, wie man die öffentliche Meinung manipuliert. Was er will ist vielleicht eine Katastrophe. Aber er ist in der Lage, die Öffentlichkeit so zu überzeugen, dass diese die Katastrophe auch begehrt.

 

Eines der wahrscheinlich bekanntesten Statements Sarrazins stand in einem Interview im Magazin Lettre International: "Ich muss niemanden anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert. Das gilt für 70 Prozent der türkischen und 90 Prozent der arabischen Bevölkerung in Berlin." Rhetorisch  ist das eine extrem seltsame Aussage, weil wirklich nicht klar ist, wie man diese Beschreibung quantitativ bestimmt...

 

Menschen möchten Aussagen glauben, und das funktioniert am besten durch Zahlen. Sobald man Zahlen sieht, scheint eine Aussage schon objektiviert…

 

Entscheidend ist auch das sehr aggressive Design von Sarrazins Buchcover.

 

Ja. Das Schwarz geht in Rot über, dazu das strahlende Weiß: Das kreiert irgendwie das Gefühl der türkischen Flagge. Ich frage mich ob das beabsichtigt war. Rot, Weiß und Schwarz sind aber auch die effizientesten Farben in jeder Propaganda. Sie werden in verschiedensten Diskursen und Kontexten genutzt, wann immer jemand strikt, direkt und attraktiv wirken möchte.

Weißt Du, was der tschechische Titel des Buches ist?: Deutschland begeht Selbstmord.

 

Es macht wirklich nicht den Anschein, als ob Deutschland gerade Selbstmord beginge. Im Gegenteil: Deutschland ist momentan ökonomisch wie politisch das stärkste Land in Europa. Aber ich denke, irgendetwas in der deutschen Seele ist von dieser Art des Pathos angezogen…

 

Du meinst die romantische Tradition? Das Leiden des jungen Werther?

 

Genau. Ich frage mich, ob dieses Buch, das auf den ersten Blick wie ein soziologisches Buch erscheint, in Wahrheit etwas anderes ist, etwas eher Spirituelles, das die Sprache und den Diskurs der Politik nutzt, um etwas Tieferes auszudrücken, und zwar die Sehnsucht nach Vernichtung.

 

Du meinst es geht gar nicht darum, die Menschen aufzuwecken und das Problem zu lösen, sondern darum, das Leiden zu genießen?

 

Ja, ich denke es geht darum, das Leiden zu genießen.

 

Aber wenn du Recht hast, warum feiern sie mich nicht dafür, dass ich ihr Leiden sogar noch verstärke?

 

Ich glaube, dass genau das passiert ist.

 

Vielleicht hängt das mit dem Fehlen von Ritualen in diesem Land zusammen. Gibt es hier funktionierende Rituale, außer Fußball?

 

Man guckt jeden Sonntag Tatort auf öffentlichen Plätzen. Und macht jedes Jahr am 1. Mai Krawalle. Aber ich denke, es gibt eine große Angst vor Ritualen, verankert im sozialen Konsens der deutschen Nachkriegsgesellschaft. Ideen können nur auf eine bestimmte Weise diskutiert werden, mit bestimmten Kanälen, Formen und Prozessen und wir müssen uns nach ihnen richten, sonst könnte etwas Schreckliches geschehen.

 

Ich verstehe. Etwas mit einem bestimmten rituellen Charakter könnte gefährliche Kräfte aktivieren…

 

Ja. Aber der enorme Erfolg dieses Buches lässt vermuten, dass sie bereits aktiviert wurden. Das Buch selbst ist irgendwie rituell…

 

Ich denke, wir haben es hier mit einer Form von Magie zu tun…

 

Nehmen wir das Logo des Projekts und lass uns über die Idee des Recycling sprechen und die Frage, was recycelt wird. Zunächst einmal beinhaltet das Buch ein hohes Maß an überschüssiger Energie. Denkst du, dass es sich diese Energie recyceln lässt? Und sie dann zu nutzen, um die Diskussion zu vertiefen und zu verschieben?

 

Ursprünglich war mein Traum, dass genau das geschehen könnte. Aber es scheint mir, dass die Wünsche der Menschen das Ganze in eine andere Richtung lenken. Weg von den wichtigen Fragen und hin zu einer Art Generierung von Selbstbestätigung für militante Gruppen, die sie dafür nutzen, den Leuten zu zeigen, dass sie gegen das tatsächlich Böse kämpfen. Das bin in dem Fall ich und sie sind die Guten. Aber ich sollte das nicht sagen. Ich sollte optimistisch sein .

 

Ich bin mir nicht sicher. Ich stimme Mao Zedong zu: es ist gut wenn der Feind dich angreift, weil du dann weißt du wo du stehst.

 

Ich gebe zu, dass es mir eigentlich gefällt, attackiert zu werden. Da sind einige unangenehme Aspekte, zum Beispiel die fiesen E-Mails, die ich bekomme und in denen steht, dass ich zurück in mein Land gehen soll, “tschechische Nazisau” und so weiter. Aber letztendlich ist es gar nicht so schlimm…

 

Du startest einen Aufruf, gemeinsam diese Bücher zu sammeln und Deutschland antwortet dir, indem du diese Nachrichten geschickt bekommst. Es scheint mir, dass diese Nachrichten aus eben jenem entzündlichen, psychischen Material bestehen, dass das Buch ausmacht und umgibt.

 

Das Problem ist zu verstehen, wie man dieses Material verantwortungsvoll behandelt. Eine Idee war, eine Art Zauberspruch zu finden, um das Buch zu entschärfen und es dann zurück zu schicken, die magische Kraft abfließen zu lassen. Ich dachte in diesem Moment nicht an die Geister von 1933, sondern an den Geist von Wilhelm Reich, dessen Bücher auch verbrannt wurden, 1956. Ich träumte, dass Reich mir ins Ohr flüstert: “Nutze den Cloudbuster. Du kannst den Cloudbuster nutzen, um die sexuelle Energie aus den Büchern zu ziehen!” Sobald sie diese sexuelle Energie nicht mehr haben, können die Bücher wieder in den Umlauf, in die Regale, aber eben entschärft.

 

Vielleicht hat der Zauberspruch seine Wirkung noch nicht abgeschlossen?

 

Wir haben drei Wege, dem zu begegnen. Entweder versuchen wir es mit einem stärkeren Zauberspruch. Oder wir versuchen, eine Immunisierung auf der anderen Seite zu bilden. Oder wir versuchen, den Prozess zu beschleunigen. Aber da stehen wir vor dem Problem, was der Prozess eigentlich ist. Durch die Beschleunigung würden wir vielleicht etwas Schreckliches produzieren.

 

Vielleicht könnten wir es mit einer kontrollierten Explosion versuchen? Wie eine Bombenentschärfung...

 

Ich denke, das Buch umgibt eine magische Sphäre, und vielleicht könnte es gelingen, dass diese Macht nicht durch Gewalt sondern einfach durch das Wegnehmen eines kleinen Partikels abfließen zu lassen. Wenn die Zeit der Popularität von Fraktalen nicht vorbei wäre, dann würde ich sagen: Wenn du den Rand des Fraktals änderst, dann beeinflusst es die gesamte Struktur.

 

Das ist ein interessantes Problem. Was ist der Rand eines Buches? Es ist irgendwo zwischen dem Buch und dem Diskurs um das Buch und der Vermarktung des Buches und der Kultur, in die das Buch eintritt…

 

Ich benutze den Begriff Resonanz: die Resonanz des Buches. Ich fühle es tatsächlich wie einen Klang. Und je mehr Exemplare es gibt, desto stärker wird der Klang. Was also möchte ich mit diesem Klang tun? Was könnte damit gemacht werden? Vielleicht ist es einfach ein Ton und wenn ich Erfolg habe, kommen einige andere Töne hinzu und es wird reicher – harmonisch oder vielleicht auch disharmonisch. Ich bin mir nicht sicher, was besser wäre…

 

Ich denke an dieses Lied von Billy Joel: We didn't start the fire.

 

Nein… Ich bin eher hinein getreten. Aber nun sind wir hier, vom Feuer kommend, durch die Magie, dann die Musik und jetzt wieder zurück bei der Feuerwehr. Ich werde wohl einen Termin machen müssen bei meinem Psychoanalytiker und ihn fragen, ob hinter all der Hysterie, die behauptet, ich würde ein Feuer entzünden wollen, in Wahrheit nicht der Wunsch steht, dass ich das tatsächlich tue.

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Kommentare

  1. Uwe

    Da bin ich aber froh, das Herr Zet die Bücher nicht verbrennen will, sondern nur recyceln und das auch nicht wirklich, nur im übertragenen Sinne – künstlerisch .
    Er kann aber schon mal sehr stolz sein, das seine größartige Kunstaktion bereits Nachahmer gefunden hat.
    In Afghanistan wurde vor ein paar Tagen ebenfalls ein bestimmtes Buch entsorgt. Wahrscheinlich hatte es zur Diskriminierung von Minderheiten und zum Hass gegen fremde Einwanderer aufgerufen – oder um mit seinen Worten zu sprechen : die Intention des Buches war nicht wichtig sondern der Effekt, den es erzielte.
    Ich kann aber Herrn Zet beruhigen. Die Reaktion der Anhänger von T.S. wird nicht genauso heftig wie in Afghanistan ausfallen. Den Anhängern ist es so ziemlich egal,was irgendwelche drittklassige Agit-Propkünstler damit machen wollen. Hr. Zet wird wohl eher ein Opfer seiner eigenen Beschränktheit werden und er sollte nicht Mitleid mit Hass verwechseln.
    Die Verantwortlichen in Afghanistan jedenfalls haben sich schonmal entschuldigt . Es war nicht der Plan Bücher zu verbrennen , haben die gesagt. Man wollte nur verhindern, das es für andere Zwecke missbraucht wird. War aber vergebens – die Leute haben einfach kein Verständnis für große Kunst.

  2. Maria Walther

    AB – SCHAFFT ES DEUTSCHLAND ?
    Das währe für mich eine Lösung, wie Kunst an die Probleme herangehen könnte.

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