Stellungnahme von Stéphane Bauer, Leiter des Kunstraum Kreuzberg/Bethanien

 

Oder: Warum der Kunstraum Kreuzberg/Bethanien nach wie vor als Sammelstelle für die Aktion „Deutschland schafft es ab“ von Martin Zet im Rahmen der 7. Berlin Biennale fungiert.

 

Der Kunstraum Kreuzberg/Bethanien hatte sich vor Beginn der Aktion auf Anfrage des künstlerischen Büros der Berlin Biennale bereit erklärt, in seinen Räumen abgegebene Bücher einzusammeln und anschließend der Berlin Biennale zu übergeben. Wir haben unmittelbar nachdem wir den Aufruf veröffentlicht haben und die Presse unsere Institution als Ort publik gemacht hat sowohl stark ablehnende wie auch begeisterte und befürwortende Reaktionen erhalten. Auch nach diesen und den in der Öffentlichkeit entstandenen starken und polarisierenden Kritiken und Protesten wird der Kunstraum Kreuzberg/Bethanien nach wie vor als Sammelpunkt dienen.

 

In kritischer Solidarität mit der Berlin Biennale möchte der Kunstraum Kreuzberg/Bethanien dazu beitragen, dass die angestoßenen Debatten und die auch bei kommenden Aktionen der 7. Berlin Biennale zu erwartenden Diskussionen aktiv und produktiv weitergeführt werden. Der durch die Auswahlkommission und den Beirat der Berlin Biennale ausgewählte und bestätigte Kurator Artur Żmijewski hat sich zum Ziel gesetzt, Kunst mit der Realität interagieren zu lassen. Er fragt nach den manipulativen Fähigkeiten von Künstlern und nach einer Kunst, die, statt eine Stellvertreterrolle einzunehmen, direkt und wirkungsvoll eingreift, um die gegebene Realität performativ zu verändern. (Vgl. Interview mit Artur Żmijewski von Joanna Warsza auf der Internetseite der Berlin Biennale)

 

Mit seiner radikalen und provokativen Institutionskritik wird Artur Żmijewski Arbeitsweisen und gewohnte Strategien in Frage stellen und damit nicht nur Publikum, sondern auch die Legitimationsstrukturen von Institutionen und Kultureinrichtungen durcheinander bringen. Die von ihm eingeladenen Projekte und Aktionen werden Fragen aufwerfen: was darf Kunst, wo sind die Grenzen von Kunstaktionen, wo wird der „gute Geschmack“ verletzt, was ist überhaupt noch Kunst, was dürfen Institutionen zulassen und mittragen... Dies sind Fragen, die diese konzeptionelle und praktische Ausweitung des Kunstbegriffs mit sich tragen. In einer solchen provokativen Zuspitzung, wie sie Artur Żmijewski vorantreibt, sind sie selten zugelassen worden.

 

Dass diese Fragen und somit die Kunst selbst verhandelt werden, ist uns wichtig. Der nun beginnende Aushandlungsprozess um die Aktion von Martin Zet ist ein Bestandteil der Diskussion. Diese Diskussion muss offen geführt werden – einer dieser öffentlichen Orte ist der Kunstraum Kreuzberg/Bethanien.

 

Auch wenn wir viele der Bedenken, die gegen den Aufruf von Martin Zet geäußert worden sind, verstehen, können wir die Heftigkeit der Kritik und der Polemik gegen ihn nicht nachvollziehen.

 

Martin Zet ruft nicht zur Bücherverbrennung auf! Dass seine Aktion aber solche Assoziationen provoziert und damit nahezu reflexartige Reaktionen offen legt, ist sicherlich intendiert. Faktisch will er lediglich aus den eingesammelten Büchern eine Installation in Partizipation mit den Besuchern der Berlin Biennale entstehen lassen. Er selbst und viele Künstler haben in der Vergangenheit Installationen mit Büchern produziert und ausgestellt.

 

Die Besonderheit seines Projektes liegt in der Wahl des Buches von Thilo Sarrazin „Deutschland schafft sich ab“ und der dieser Aktion innewohnenden Evozierung der potentiellen Entledigung seines Gedankenguts.

 

Martin Zet legt hier die widersprüchliche und hysterische Hilflosigkeit offen, mit der auf die zutiefst rassistischen Äußerungen und Thesen von Thilo Sarrazin oder z.B. auf die Existenz und Taten der sog. „Zwickauer Terrorzelle“ reagiert wurde: Leider wird Deutschland immer wieder von seiner rassistischen und rechtsextremen Vergangenheit eingeholt und kann sich dieser Geschichte eben nicht einfach „entledigen“. Dass dieser Rassismus einen ganzen realen Raum in der Berlin Biennale füllen könnte und immer wieder den gesellschaftlichen Raum füllt und prägt, dies macht die Aktion von Martin Zet bereits jetzt sichtbar. Dass wir immer noch reflexartig und nahezu panikartig reagieren, wenn mit den Attributen „Bücher“, „Recyceln“ und „Sammeln“ gehandelt wird, zeigen die nun erfolgten Reaktionen und Kritiken.

 

In der Berichterstattung und in den Reaktionen auf Martin Zet wird eine Virulenz sichtbar, die wir aber nach wie vor in dieser Eindeutigkeit vermissen, wenn es darum geht, Thilo Sarrazins Thesen und andere rassistische Vorgänge in Deutschland zu benennen und als solche abzulehnen.

 

Wir werden daher weiter als Sammelstelle fungieren. Wir sind gespannt, wie viele Exemplare wir tatsächlich erhalten werden. Eine Woche nach Beginn der Aktion – und trotz höchster medialer Präsenz – haben wir nur ein Exemplar erhalten. Vielleicht ist dies der offenbarste Beleg dafür, dass diese Aktion in ihrer Praxis nicht funktioniert und Kunst sich in einem Dilemma befindet, wenn sie mit der Realität interagieren will...

 

Gleichzeitig zeigen uns die nun entstandenen und noch zu führenden Debatten, dass es aber wichtig ist, diese Diskussionen zu ermöglichen und voran zu bringen... und dass Kunstaktionen zumindest einen gesellschaftlichen Raum füllen und öffnen, der Hilflosigkeit, Widersprüche, Hysterie und Virulenz offenbart... Nicht zuletzt müssen nun der Kurator und die MitkuratorInnen der 7. Berlin Biennale diese Diskussionen aktiv führen, vorantreiben und weiter qualifizieren. Wir sind dabei!

 

Berlin, den 17.01.2012

7-berlin-biennale-sarazzin

Kommentare

  1. ProDiskussionsfreiheit

    Die geplante Aktion von Zet ist prima. Vor allem zum jetzigen Zeitpunkt, wo doch gerade die Taschenbuchausgabe von Sarrazin´s Werk in den Buchhandel gekommen ist. Man könnte meinen, dass Sarrazin bzw. sein Verlag die Aktion innitiert hat. Klasse Marketingstrategie. Sarrazin und sein Werk erhalten durch Zet und die Biennale wieder große Aufmerksamkeit, dies steigert wiederum die Nachfrage nach seinem Buch. Prima. Bin mal gespannt, wie viele Exemplare in den Sammelstellen abgegeben werden.

  2. jacopo gallico

    i guess this will be an historical act! art in the public interest, against art for a privileged lobby! someone had the courage to declare “war” against the art as a market. perhaps the berlin biennale will be not just a venues of contemporary art, now that berlin is settled maybe is becoming reality and part of the contemporarity as well…

  3. Udo Herrmann

    Zum Glück wurden keine Bücher abgegeben. Diese Aktion ist eine Schnappsidee. Wer ein Buch nicht mag, der braucht es nicht zu kaufen, aber Bücher zu verbrennen, das hatten wir schon.

  4. Reffke

    Reffke
    22.01.2012 um 01:28
    Der Tcheche Martin Zet hat offenbar weder die Bücher von Václav Havel noch das von Thilo Sarrazin gelesen, schlimm sowas:
    er bezieht sich nämlich garnicht inhaltlich auf Sarrazin, sondern einfältig immaginär, bedient so die niedrigsten Instinkte des linken Plebs, der nur weiter leben kann, wenn man seine Lebenslüge nicht entlarvt… Pfui, Buh, Igit!
    Ich kann ihm nur raten wenigstens das Essay “Versuch, in der Wahrheit zu leben” zu lesen:
    Der Rufmord an Sarrazin ist beänstigend und beispiellos, aber auch mit der Dämonisierung von weilen Biermann, Havemann oder eben Václav Havel zu vergleichen: die Bonzen haben sie auch nicht gelesen… komisch…
    Mit konditionierten Reflex bellen die Pavlovschen Hunde, die “linken” Medien reduzieren ihr kritisches Urteil auf linientreues Papalapap, ein ideologiosches 1×1, das heute nichtmal mehr zur Milchmädchenrechnung taugt und trampeln im Gleichschritt: Marsch!
    Ich bin erschüttert über die Gedankenlosigkeit der Organisatoren der Berliner Biennale, nutzen sie die Chance, sich rechtzeitig zu besinnen!
    Zitat:
    “Havels Werke wurden nur noch durch verbotene Selbstdrucke und Abschriften verbreitet. Erneut klaffte der Abgrund zwischen selbst gewähltem Lebensinhalt und totalitärem System auf. Doch die Okkupation der Tschechoslowakei hatte den Westen sensibilisiert. Havel als Vertreter der unabhängigen tschechoslowakischen Kultur fand bei westlichen Bühnen und Verlagen Beachtung.
    Im eigenen Land wurde dagegen auch die leiseste unabhängige Äußerung im Keim erstickt. 1976 schritten die Behörden gegen die Rockgruppe „The Plastic People of the Universe“ ein. Ivan Martin Jirous, der Manager der Gruppe, und die Musiker wurden vor Gericht gestellt. Bei Václav Havel schellten die Alarmglocken. Denn hier handelte es nicht darum, dass die Machthaber einen politischen Gegner zum Schweigen bringen wollten. Die unkonventionellen, langhaarigen Musiker waren gänzlich unpolitisch. Sie wollten nichts weiter, als die Musik spielen, die ihnen gefiel.
    Václav Havel verstand die Repressionen gegen die Gruppe „The Plastic People of the Universe“ als einen Angriff, der das Leben selbst bis ins Mark traf. Und das gehe alle etwas an, fand Havel, denn die Freiheit sei unteilbar. Er mobilisierte Unterstützung für die Plastic People. Der Prozess gegen die Rockgruppe wurde so zum Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Die Charta 77 erblickte das Licht der Welt. Havel wurde einer ihrer Sprecher. Das Dokument forderte die Einhaltung der Menschenrechte und der bürgerlichen Grundfreiheiten. Die Charta 77 pochte dabei lediglich darauf, die geltenden Gesetze zu respektieren. Die Unterzeichner nahmen die Regierenden beim Wort und entlarvten so das formale Rechtssystem als bloßen Schein. Sie demaskierten den Unrechtsstaat. Sie zeigten mit dem ausgestreckten Finger auf des Kaisers neue Kleider und riefen: „Der Kaiser ist nackt.“
    Zitat Ende
    http://www.radio.cz/de/rubrik/geschichte/des-kaisers-neue-kleider-vaclav-havel-und-das-leben-in-wahrheit

  5. Stefan Freitag

    Ich werde Euch in Zukunft ignorieren.

  6. Paul Mittelsdorf

    Herr Bauer, Sie sind hier derjenige, der faschistische oder ganz allgemein totalitäre Praktiken weiterträgt. Zum einen, indem Sie jemanden als Rassisten bezeichnen, ohne sich die Mühe zu machen, das zu belegen. Und zum anderen, indem Sie, wie Sie sich selbst ausdrücken, dabei helfen, sich eines bestimmten “Gedankenguts” zu “entledigen”. Ja, dann viel Spaß beim “Entledigen”.

  7. Uwe

    Vielleicht sollte man noch etwas an dem Konzept des K. Zet arbeiten um nicht fortwährend mit Nazis und anderen Diktatoren verglichen zu werden. Ich schlage deshalb vor, den deutschen Integrationspreisträger Anis Mohamed Youssef Ferchichi für das Projekt zu gewinnen. Sein Lied vom 11. September könnte einen reizvollen Akzent setzen und Hr. Sarrazin zeigen über welche Themen man in Deutschland schreiben muss, um nicht nur in Kreisen der Politik, Kunst und Kultur sondern auch von der diskriminierten Minderheit akzeptiert zu werden. http://www.youtube.com/watch?v=XhV4z_gqZiY
    Die gesammelten Bücher sollte man dann auf einem “Basar der guten Menschen” verkaufen und mit dem Erlös eine Stiftung gründen – z.B. für die Betroffenen staatlich geduldeter Diskriminierung von Roma und Sinti in Tschechien (als Stiftungsvorsitzender erklärt sich sicher gerne Hr. Zet bereit) oder für die Jesidin Arzu Özmen, die die Aufforderung von Hr. Sarrazin zur Integration allzu wörtlich genommen hat und deshalb sterben musste. Vielleicht könnte sie ohne die Hetzschrift von Sarrazin noch leben. Durch den Wiederverkauf würde gleichzeitig der Verkaufserfolg der neuen Auflage des Buches von Thilo Sarrazin wirksam verhindert werden.
    Sollten die 60.000 Bücher nicht zusammen kommen, liese sich der Kreis der zu ächtenden Schriftsteller noch beliebig erweitern: Voltaire (Mahomed), Henryk Broder, Ralph Giordano, Ayaan Hirsi Ali ; Necla Kelek, Oriana Fallaci, Salman Rushdie …
    Theo van Gogh ist leider schon hingerichtet worden – wäre sonst auf jeden Fall auch ein Kandidat und natürlich Kirsten Heisig – sorry auch schon tot.

  8. Carlos Spicywiener

    “Rassistische Thesen”

    „Nichts zeugt so sehr vom Bankrott der Linken wie das, was aus ihrem Rassismusbegriff geworden ist. Die Kritik des Rassismus meinte einmal die Kritik jeder Borniertheit. Der Rassismus wurde begriffen als Anschlag auf die Idee einer befreiten Menschheit, die ihre Geschicke selbst in die Hand nimmt und die Gesellschaft nach vernünftigen Maßstäben einrichtet. Was heute unter „Antirassismus“ verstanden wird, ist genau das Gegenteil jener Kritik: Parteinahme für jede mögliche Barbarei, wenn sie sich nur das Etikett „Kultur“ aufkleben kann. (…) „Antirassismus“ heißt heute, den Menschen, die in islamischen Ländern bzw. Communities leben müssen, ins Gesicht zu spucken. Nach Meinung der linken „Antirassisten“ haben sie nichts anderes verdient als den Islam.“ (kosmopolitbüro)

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10. Berlin Biennale