7-berlin-biennale-berek

Eine Szene aus dem Film „Berek“; 1999; Artur Żmijewski

Berek

von Artur Żmijewski

Der Film Berek (Fangspiel) stammt aus dem Jahr 1999. Er zeigt eine Gruppe von Erwachsenen bei einem Kinderspiel. Sie sind nackt, rennen herum und lachen viel. Sie sind sich bewusst darüber, wo sie sich befinden: in der Gaskammer eines ehemaligen Nazi-Vernichtungslagers. Berek setzt sich mit einer Geschichte auseinander, die „unberührbar” ist, sowie mit schmerzhaftesten Erinnerungen, denen das offizielle Gedenken nicht gerecht werden kann. Die ermordeten Menschen sind Opfer – doch wir, die Lebenden, sind ebenfalls Opfer. Und wir benötigen eine Art Behandlung oder Therapie, sodass wir in der Lage sind, eine symbolische Alternative herzustellen. Anstelle von Leichen sehen wir Gelächter und Leben. In Berek geht es darum, wie wir mit dieser brutalen Geschichte und mit vorgeschriebenen Erinnerungen umgehen können. Es ist möglich, aktiv auf die Geschichte zuzugreifen und zu versuchen, uns von dem Trauma zu befreien.

 

Ich wurde von Gereon Sievernich, dem Direktor des Martin-Gropius-Baus, beschuldigt, die Würde der Opfer des Holocaust zu missachten. Dies führte dazu, dass er Berek aus der Ausstellung Tür an Tür. Polen – Deutschland. 1000 Jahre Kunst und Geschichte, kuratiert von Anda Rottenberg (23. September 2011 bis 9. Januar 2012), entfernte. Sievernich scheint sich nicht darüber bewusst, dass Akte der Zensur immer die Würde der Lebenden verletzen. Er gibt vor, die Wahrheit zu kennen, und schreibt seine eigene Version der Dinge vor, anstatt eine Diskussion zuzulassen.

 

Die Anthropologin Joanna Tokarska-Bakir schickte mir unlängst diesen Kommentar zu der Kontroverse:

 

Es ist interessant zu sehen, wie die ganze Frage um Berek jetzt zum Ausbruch kommt. Das Video ist schon alt. Ich würde die Tatsache unterstreichen, dass es mit dem Kitsch um den Holocaust – der als Wärter der Erinnerung präsentiert wird ­– bricht. Durch eine derartige Präsentation wird gleichzeitig die Erinnerung zerstört, weil diese sicherstellt, dass der Holocaust allein ein jüdisches Thema bleibt. In ihrem Video haben Sie eine Möglichkeit gefunden, sich den Holocaust auf eine dramatische Art und Weise anzueignen. Per Schockmechanismus kodieren Sie etwas um, das unter Kontrolle einiger Hohepriester zu feierlichen Interpretationen erstarrt ist.

 

Zudem würde ich sagen – und dies fühle ich stärker denn je –, dass wir, die behaupten, dass noch vieles nicht ausgesprochen wurde, immer mehr um die Aufmerksamkeit des Publikums kämpfen müssen. Wir stehen vor der Tatsache, dass heutzutage keiner mehr etwas von der Shoah hören will. Erscheinungen, die so exzessiv sind wie der Holocaust, können niemals ihren richtigen Platz finden – es geht immer entweder zu viel oder zu wenig darum. (…)


Die allgemeine Meinung in Polen ist, dass es zu viel darum geht. Es scheint, dass dieser Mann [Hermann Simon, der Direktor der Neuen Synagoge Berlin – Stiftung Centrum Judaicum, der in einem Brief an Sievernich das Video verurteilte] der gleichen Meinung ist – er versteht die Sprache der Kunst nicht, aber er ist wichtig genug, dass die Deutschen ihm zuhören (die deutschen Komplexe). Jemand sollte ihm erklären, bei allem gebührenden Respekt, dass er falsch liegt. Als Opfer stehen ihm keine exklusiven Rechte bezüglich der öffentlichen Diskussion zu. (…) Sie haben in Berek ein Pseudonym für eine Sache gefunden, von der keiner mehr hören will. Sie haben die polnischen Wärter der Erinnerung ausgetrickst. Sie haben zwei Artefakte – die Nacktheit und den Namen des Kinderspiels (Berek) – im Kontext der Erinnerung verwendet: in derselben Situation, in der Juden umgebracht wurden. Das ist sehr viel.

 

Aus diesem Grund zeigen wir Berek bei der 7. Berlin Biennale – als Reaktion gegen den Impuls der Zensur, der Selbstzensur und der Verhinderung von Diskussionen.

von Artur Żmijewski

 

Artur Żmijewski ist Künstler und Mitglied von Krytyka Polityczna (Politische Kritik). Er lebt in Berlin und Warschau.

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