Heimo Lattner / Annette Maechtel

Künstler, Berlin / Freie Kuratorin, Berlin

Heimo Lattner: Die Berlin Biennale bat 80 ausgewählte KulturproduzentInnen um eine Stellungnahme zu der aufgeheizten Stimmung innerhalb des Kulturfeldes der Stadt. Ich erlaube mir dieses Vorgehen um eine Stimme zu erweitern und, statt ein Statement zu liefern, ein Gespräch zu führen. Ich versuche den Einstieg über ein Zitat aus dem Anschreiben: »Haben KünstlerInnen ihr Vertrauen in Kunstinstitutionen verloren?«

 

Annette Maechtel: Die Frage irritiert nach einer Historie von über vierzig Jahren Institutionskritik. Aber der Punkt ist doch, dass es gar nicht mehr um die Unterscheidung von Institution und Nicht-Institution geht. Wir hängen alle am gleichen Antragstropf. Es geht um eine Verwertungslogik, die alle wahnsinnig unter Druck setzt – nicht nur die KünstlerInnen.

 

HL: Die aktuelle Krise in Berlin ist gekoppelt an eine Stadtentwicklungspolitik, die Renditen über Nutzwerte stellt. Davon sind nicht nur die Räume der KünstlerInnen betroffen. Eine Emanzipation, die innerhalb der Marktwirtschaft über diese hinausweist und der Freiheit einen Platz einräumt – und dies nicht im trivialen Sinne –, gilt eben nur für wenige.

 

AM: Es geht in der aktuell geführten Auseinandersetzung um das Recht auf Stadt ganz allgemein. Die politische Dimension beschränkt sich nicht auf das Kunstprekariat. Sich in einer reinen Kulturdebatte zu verzetteln, wäre lauwarm und eine vergebene Chance auf Anschlussfähigkeit. Die KünstlerInnen glaubten sich viel zu lange außerhalb des Systems …

 

HL: … und dürfen nicht die SchlaumeierInnen sein, die für andere sprechen. Die KünstlerInnen sind ExpertInnen für die nicht konsensfähige Produktion. Die soziale Plastik lebt genau von einer solchen Offenheit, Unvollkommenheit und Unabgeschlossenheit.

 

AM: Ja, ich denke auch, dass eine gewisse Unschärfe in der Debatte erst die Chance bietet, die Gespräche auf einer breiten Basis zu führen. Und nicht zuletzt geht es hierbei auch um eine Kultur der Auseinandersetzung und des Diskurses.

 

HL: Es gibt gerade eine große Lust auf Veränderung, die sich jeder Berechenbarkeit entzieht. Das Ziel müsste sein, den Lustgewinn aus Dissenz zu steigern.

 

AM: Genau. An diesem Punkt wird es erst bedrohlich.

 

Berlin, 8./9. August 2011

 

 

Quelle: P/Act for Art: Berlin Biennale Zeitung

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