JOHANNES PAUL RAETHER

künstler, Berlin

 

wider kuLturpoLitik?

Institutionen (sind) eine Vergegenständlichung der politischen Gesinnung.¹

 

Diesen grandios schlichten Satz schrieb Karl Marx 1843. Dass die Durchsicht der gegenwärtigen (Kultur-)Institutionen im Lichte dieses unspektakulären Satzes verheerend ausfällt, zeigt unter anderem, dass wir die Gesinnungen, die sich in ihnen vergegenständlichen, wesentlich seltener diskutieren als ihren Status, ihre Besetzungen oder Politiken. Im kommerziellen Sektor der Gegenwartskunst liegt die Gesinnung scheinbar auf der Hand; hier tritt die Kunst als luxuriöses Spitzensegment der Kulturindustrie auf, als wundervolle Ware. Der staatlichen Kulturpolitik wird da aus unerfindlichen Gründen »Selbstloseres« unterstellt – doch ganz gleich ob sie nun, wie in Deutschland, im Namen der fadenscheinigen Autonomie bürgerlicher Hochkultur antritt oder, wie zuletzt im britischen und im niederländischen Fall, im Namen ihrer neoliberalen Kapitalisierung, handelt auch sie von wundervollen Waren: vom City-Branding, vom Nation-Branding, vom nationalen oder europäischen Genius.

 

Kulturpolitik gibt es kapitalistisch nur als Schätzung des Wertes der Kultur für den Staat. Und zur Kulturpolitik gehören die Politiker, die die vergegenständlichte Gesinnung verkörpern und sie als voluntaristischen Akt der Schenkung mit großer Geste denjenigen überreichen, die sich in ihr repräsentiert fühlen sollen. In Berlin, der Hauptstadt, sind die Wertschätzungen wie die großen Gesten an der Tagesordnung: als bürgermeisterliche Leistungsschau, als Schröders Flick-Collection oder Boddins Schlossneubau.

 

Mit der Behauptung einer politischen und moralischen Wirkmächtigkeit von Kunst inmitten dieser Gesinnungsgemeinschaft hat sich als Ergänzungsshow ein ganzes Genre etabliert, das die Kunst einer wa(h)ren Politik anpreist: die »politische Kunst«. In ihr wird der kulturpolitisch bekannte Voluntarismus der großen Geste gespiegelt, als brave, empörte Wortmeldung des »guten Gewissens« aus der Kunst, als scheinpolitische Rettung der Kunst gegen die Institutionen. Beide Seiten sind sich einig darin, die Kultur als subventionierte Funktion der Kritik zu organisieren, sei es als Beitrag zur wirtschaftlichen oder kulturellen Innovation, sei es als Ausweis demokratisch-pluralistischer Verfasstheit – diese »politische Kunst« handelt von repräsentativen Verteilungskämpfen innerhalb einer unangegriffenen Institution: der Kunst an und für sich.

 

Der voluntaristische Akt der staatstragenden Schenkung und die pazifierende Funktion »politischer Kunst«, die sie anprangert, gehören zueinander und leben voneinander. Sie teilen eine Gesinnung: den Glauben an die Kultur als Reich der Repräsentation einer ihr institutionell vorgelagerten Politik. Aber wenn diese Gesinnung immer auch von der Ware handelt, immer auch von der Stadt und immer auch vom Staat, dann sieht sich diese Gesinnung immer wieder bösartig abgelenkt, funktionalisiert und korrumpiert.

 

Sie setzt an, sich »bewusst in gegenwärtige Debatten einzumischen (…), eine kritische Stimme in der Gesellschaft zu sein bzw. (…) demokratische Prozesse in der Gesellschaft (…) zu bewirken« (A. Żmijewski), und sieht sich dann notwendig manipuliert und missverstanden. Denn die voluntaristischen Schenkungsakte und die großen Gesten der Freiheit wiederholen sich, solange die Kunst als Institution in ihrem Verhältnis zur Gesellschaft affirmiert wird. Wo die Institution Kunst nicht selbst stetig infrage steht, kann keine Kulturpolitik die Institutionen richten. Die gemeinsame Suche nach den vergegenständlichten politischen Gesinnungen, in der städtischen und staatlichen Kulturpolitik ebenso wie in den Institutionen der »politischen Kunst«, bedarf zuallererst nicht dem Vertrauen in die

Institutionen, sondern dem gemeinsamen Misstrauen gegenüber der Kunst als Institution.

 

1 Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie, § 268, 1843.

 

 

Quelle: P/Act for Art: Berlin Biennale Zeitung

Kommentare

  1. YUL

    Johannes Paul Raether = Deutsche Bank Künstler.

    http://www.db.com/csr/de/kunst_und_musik/globe.html

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