Pakt für die Kultur

geschlossen zwischen dem Ministerrat der Republik Polen, vertreten durch den Premierminister der Republik Polen, und der Gesellschaft, repräsentiert durch die Kulturbürger,

im Bewusstsein dessen, dass die Kultur ein Gegenstand besonderer Verantwortung von Regierung und Bürgern sein muss, wie es die Verfassung der Republik Polen verlangt:

»Art. 6. Die Republik Polen schafft die Voraussetzungen für die Verbreitung und den gleichen Zugang zu der Kultur, die die Quelle der Identität des polnischen Volkes, seines Bestandes und seiner Entwicklung ist.«

»Art. 73. Die Freiheit der künstlerischen Beschäftigung, der wissenschaftlichen Forschung und der Veröffentlichung ihrer Ergebnisse, die Freiheit der Lehre sowie die Freiheit, an der Kultur teilzunehmen, werden jedem garantiert.«

 

Desgleichen die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte:

»Art. 27 1. Jeder hat das Recht, am kulturellen Leben der Gemeinschaft frei teilzunehmen, sich an den Künsten zu erfreuen und am wissenschaftlichen Fortschritt und dessen Errungenschaften teilzuhaben.

2. Jeder hat das Recht auf Schutz der geistigen und materiellen Interessen, die ihm als Urheber von Werken der Wissenschaft, Literatur oder Kunst erwachsen.«

 

Die Parteien stimmen in den folgenden Punkten überein:

I

Die Zukunft Polens hängt von freien, kreativen und auf der Basis gegenseitigen Verständnisses agierenden Bürgern ab. Polen braucht eine moderne Entwicklungsperspektive, gemeinsame Ziele und effektive Instrumente zu ihrer Umsetzung. Eines der größten Hindernisse für die Entwicklung Polens ist der Mangel an Sozialkapital, das heißt das geringe Vertrauen in die staatlichen Institutionen und die Schwäche der gesellschaftlichen Kommunikation und Kooperation sowie des Engagements für das Gemeinwohl.

II

Allgemeine und aktive Partizipation an der Kultur ist einer der wichtigsten Faktoren des sozialen und ökonomischen Fortschritts. Dem Staat obliegt die Verantwortung für die Förderung der Kultur und für eine gerechte Gesetzgebung, die allen Bürgern gleichen Zugang zur Kultur garantiert, für die Bewahrung des kulturellen Erbes sowie für die Schaffung einer entsprechenden Infrastruktur und einer geordneten Kulturlandschaft.

III

Der Zustand der Kultur und der Zugang zu ihr stehen in direktem Zusammenhang mit der Lebensqualität. Ziel staatlicher Politik sollte die Schaffung einer solidarischen und heterogenen, kohärenten und offenen, freien, sicheren und wohlhabenden Gesellschaft sein, die von selbstbewussten Bürgern aktiv mitgestaltet wird.

IV

Kultur ist ein gemeinschaftliches Gut. Sie öffnet Räume für heterogene Ideen, Ansichten und bürgerliche Haltungen. Um den Herausforderungen der Zukunft gerecht zu werden, muss Kulturpolitik dem gesellschaftlichen Wandel, der wachsenden Mobilität, den sich verändernden Formen kultureller Teilhabe sowie den zunehmend individualisierten Wertsetzungen Rechnung tragen.

V

Ausreichende Finanzierung ist das Mindeste, was der Staat tun kann. Kulturelle Teilhabe und kreative Aktivität der Bürger sollten Prioritäten des Regierungshandelns bilden und über moderne Kulturprogramme, die Verbesserung von Bildung und Forschung, den allgemeinen Zugang zu Kulturressourcen, Bibliotheken, Mediatheken und multifunktionalen Kulturzentren sowie über qualitativ hochwertige Kulturinstitutionen und Medien realisiert werden. Ökonomische Indikatoren dürfen nicht das einzige Kriterium für Investitionen in Kulturgüter und für die Förderung kultureller Teilhabe sein.

VI

Der Staat erfüllt mit angemessener Sorgfalt seine Pflicht zur Gewährleistung der künstlerischen Freiheit und der Freiheit der künstlerischen Meinungsäußerung. Er fördert auch kritische, experimentelle und an Bürger mit differierenden Weltanschauungen gerichtete Kunst und schafft die Voraussetzungen dafür, dass Talente sich entwickeln können und künstlerische Aktivitäten möglich sind.

VII

Der Staat praktiziert eine einheitliche Politik gegenüber sozialen Organisationen und berücksichtigt in der Förderung ihrer Aktivitäten ihre jeweiligen Funktionen und Aufgaben.

 

Beide Seiten unterzeichnen den Pakt als Vertrag offenen Charakters, der ab dem Tag der Unterzeichnung umzusetzen ist.

§1

Die Vergabe öffentlicher Gelder erfolgt im Einklang mit dem Grundsatz des allgemeinen und gleichen Zugangs zur Kultur.

§2

Die Regierung leitet in Kooperation mit den Unterzeichnern des Pakts die nötigen Schritte ein, damit zwischen 2012 und 2015 der Anteil der Kulturausgaben am Staatshaushalt auf mindestens ein Prozent erhöht wird. Nicht eingerechnet in diese Ausgaben werden kommunale Mittel und EU-Fördergelder (mit Ausnahme staatlicher Zuschüsse zu EU-finanzierten Projekten und Programmen, die den Zielen des Paktes entsprechen).

§3

In Erfüllung seiner öffentlichen Aufgaben und im Einklang mit dem Verfassungsprinzip der Subsidiarität, fördert der Staat in erster Linie Initiativen, die von Bürgern oder verfassten Kulturinstitutionen ausgehen.

§4

Beide Seiten vereinbaren, gemeinsam bestehende Gesetze und Vorschriften daraufhin zu überprüfen, wie darin das Prinzip des gleichen Zugangs von Kulturinstitutionen, Bildungseinrichtungen, Hochschulen sowie kulturell tätigen gesellschaftlichen Organisationen und Privatpersonen zu öffentlichen Geldern für kulturelle Zwecke und langfristige Programme im Bereich der öffentlichen Aufgaben stärker betont werden kann.

§5

Beide Seiten erarbeiten ein Modell, das Unternehmer zur Förderung kultureller Projekte ermuntert.

* * *

§6

1. Die Regierung verpflichtet sich zur dauerhaften Kooperation mit Gesellschaft und Wissenschaft auf dem Feld der Implementierung moderner Bildungskonzepte zur Entwicklung der sprachlichen, kommunikativen, medialen und ästhetischen Kompetenzen bei Kindern und Jugendlichen.

2. Die eingeführten Modelle werden systematisch evaluiert.

§7

1. Die Kulturinstitutionen sind in ihrer Programmgestaltung autonom, sie fungieren als Garanten der Freiheit der Kunst.

2. Der Staat respektiert die gesetzmäßigen Pflichten der Kulturinstitutionen, er bestimmt ihre Mission und weiteren Aufgaben mit und verpflichtet sich, ihnen die für ihre Arbeit notwendigen Mittel zur Verfügung zu stellen.

3. Wenn der Staat neue Kulturinstitutionen ins Leben ruft, sollen sie nicht auf Kosten von anderen öffentlichen Aufgaben und Kulturprogrammen in gesellschaftlicher Trägerschaft finanziert werden.

§8

1. Die Regierung verpflichtet sich, in Kooperation mit der öffentlichen Seite rechtliche und administrative Änderungen durchzuführen, um die Möglichkeiten zur Finanzierung kultureller Zwecke aus unterschiedlichen öffentlichen und nichtöffentlichen Quellen zu verbessern. Diese Finanzierung sollte langfristiger Natur sein, wodurch die Effektivität der Ausgaben für öffentliche Aufgaben verbessert werden kann.

2. Die Regierung schafft in Kooperation mit der territorialen Selbstverwaltung die rechtlichen Grundlagen für eine Pilotstudie über die Einrichtung sogenannter partizipativer Budgets in der Finanzplanung der territorialen Selbstverwaltung, über deren Verwendung die Bürger vor Ort entscheiden.

§9

Die Regierung wirkt hin auf die Einführung einer Pflicht zur Veröffentlichung von Berichten und Bilanzen über die mit öffentlichen Mitteln geförderte Realisierung öffentlicher Aufgaben auf dem Feld der Kultur; diese Pflicht umfasst alle Institutionen, darunter auch öffentliche, Medien, gesellschaftliche Organisationen und private Subjekte. Die Veröffentlichung erfolgt im Internet.

§10

Die öffentlichen Medien forden die baldige Verabschiedung eines modernen Mediengesetzes, das ihnen die Erfüllung ihres Auftrags ermöglicht. Als Arbeitsgrundlage dient der Entwurf des Bürgerkomitees Öffentliche Medien.

§11

1. Dringliche Aufgaben sind die Schaffung eines Programms zur Digitalisierung des kulturellen Erbes sowie die kostenlose Nutzung seiner Ressourcen zu Zwecken der Bildung und der Wissenschaft sowie zu nichtkommerziellen Zwecken.

2. Public-Domain-Werke werden kostenlos und ohne Nutzungseinschränkung zugänglich gemacht, wobei das Recht auf Deckung der dabei entstehenden Kosten gewahrt bleibt.

§12

1. Das Urheberrecht muss zeitnah den neuen technischen Herausforderungen angepasst werden, um die Rechte von Urhebern und Nutzern im Internet effektiv zu schützen.

2. Es werden jährlich Mittel für den Erwerb von Rechten an Werken von besonderem Wert für Kultur und Bildung sowie für ihre Bereitstellung als Public-Domain-Werke eingeplant.

§13

Die Regierung erarbeitet und etabliert unter Beteiligung der Öffentlichkeit ein langfristig angelegtes Projekt zur Leseförderung und zur Verbesserung sprachlicher Kompetenzen.

§14

Die Regierung verpflichtet sich, langfristig angelegte Programme zur Modernisierung der Infrastruktur von Bibliotheken, Mediatheken und Zentren kultureller und bürgerlicher Aktivitäten in den Gemeinden aufzulegen.

§15

Die Regierung wird in Kooperation mit den Unterzeichnern des Pakts für die Kultur Strategien zur Entwicklung des Sozialkapitals umsetzen.

§16

1. Der Premierminister beruft eine Kommission für den Pakt für die Kultur ein, die sich aus Vertretern der Regierungsadministration, der territorialen Selbstverwaltung, gesellschaftlicher Organisationen und der Kulturbürger zusammensetzt.

2. Die Kulturpakt-Kommission erarbeitet unter öffentlicher Kontrolle und unter Wahrung des Transparenzprinzips Wege zur Umsetzung der Beschlüsse des Pakts.

§17

1. Die Planung der Vergabe öffentlicher Mittel, die aus der Erhöhung des Kulturetats gemäß §2 resultieren, erfolgt nach Anhörung des Bürgerkomitees am Ministerium für Kultur und Nationales Erbe. Die Gutachten des Bürgerkomitees werden im Internet publiziert. Die Zusammensetzung des Bürgerkomitees wird von der Kulturpakt-Kommission nach dem Prinzip der gleichen Repräsentation gesellschaftlicher Organisationen, Kulturinstitutionen, Künstlerverbände, der Selbstverwaltung und der Regierungsadministration festgelegt.

2. Zu den Aufgaben des Bürgerkomitees im Ministerium für Kultur und Nationales Erbe gehört auch die Überwachung des Prozesses der Realisierung der Beschlüsse des Pakts für die Kultur.

§18

Zeitplan für die Arbeiten am Pakt für die Kultur:

a. Bekanntgabe des Pakts für die Kultur zur öffentlichen Diskussion – 11. Dezember 2010

b. Abschluss der öffentlichen Diskussion – 31. März 2011

c. Vorstellung des Pakts bei der Regierung – 15. April 2011

d. Unterzeichnung des Pakts – 14. Mai 2011

f. Berufung einer Kommission für den Pakt für die Kultur in der Kanzlei des Premierministers – 30. Juni 2011

g. Planung der Kulturausgaben für das Jahr 2012 gemäß der Vereinbarungen des Pakts – 30. September 2011

h. Novellierung langfristiger Programme zur Umsetzung der Beschlüsse des Pakts für die Kultur – 30. Oktober 2011

i. Berufung eines Bürgerkomitees am Ministerium für Kultur und Nationales Erbe – 30. August 2011

§19

1. Die Unterzeichner beschließen, dass der Pakt für die Kultur offenen Charakter hat, was bedeutet, dass ihm alle kulturellen oder sozialen Organisationen, Einheiten der territorialen Selbstverwaltung sowie andere Subjekte, die seine Beschlüsse akzeptieren und sich kulturell engagieren, beitreten können.

2. Einzelpersonen können den Pakt unterstützen, indem sie ihn unterzeichnen und damit ihre Bereitschaft zur Mitwirkung an seiner Verwirklichung erklären.

3. Der offene Charakter des Pakts impliziert, dass er nicht alle Aktivitäten und Lösungen zur Stärkung der öffentlichen Teilhabe an der Kultur in Polen umfasst.

 

Aus dem Polnischen von Bernhard Hartmann.

Übersetzt nach der online unter der Adresse http://obywatelekultury.pl/2011/05/podpisalismy-pakt-dla-kultury-podpisz-sie-i-ty/ (Zugriff am 16.6.2011) zugänglichen Fassung, die am 14. Mai 2011 unterzeichnet wurde. (A.d.Ü.)

 

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