Tom Holert

Kunstkritiker und Kulturwissenschaftler, Berlin und Wien

 

»Kulturpolitik«: In wessen Namen?

Eigentlich ist es schon erstaunlich, dass »Kulturpolitik« zu einem Anlass von breiten, milieuübergreifenden Mobilisierungen im künstlerischen Feld werden konnte, wie es die jüngsten Diskussionen um die »Leistungsschau«- und Kunsthallen-Pläne von Klaus Wowereit, Berlins Regierendem Bürgermeister und Kultursenator in Personalunion, gezeigt haben. Erstaunlich deshalb, weil »Kulturpolitik« normalerweise für das Gegenteil der Ereignisökonomie und des Spekulationsspektakels steht. »Kulturpolitik« und besonders »kommunale Kulturpolitik« gelten als Synonyme für mühselige Antragsproduktion, bürokratische Verfahrenswege, parteipolitische Interessenverwaltung, inspirationsfreie Beamtenmentalität und die muffige Welt der Lokalmedien. Dass die als langweilig angesehene »Kulturpolitik« zumeist erst die materiellen und institutionellen Voraussetzungen für den Spaß (beziehungsweise den Ernst) der Kunst schafft, wird dabei gern übersehen. Wer will schon zugeben, dass die Welt der Bezirksregierungen, Stadtverwaltungen, Bundeseinrichtungen, EU-Programme, öffentlichen und privaten Stiftungen sowie der zahllosen bürgerlichen Individuen und Initiativen aus der Mitte der Zivilgesellschaft einen erheblichen Anteil am regelmäßigen Zustandekommen der Sause haben? Dass »Kulturpolitik« trotz dieser grauen Reputation plötzlich ins Zentrum künstlerischer und politischer Aktivität rückt – wie es auch die vorliegende Veröffentlichung von Statements zur kulturpolitischen Orchestrierung der 7. Berlin Biennale (einem kulturpolitischen Ereignis par excellence) suggeriert –, wäre jedoch nur dann zu begrüßen, wenn Begriff und Praxis von »Kulturpolitik« über Fragen der Versorgung von KünstlerInnen und anderen KulturproduzentInnen hinausreichen würde. Die Auseinandersetzung mit gegebenen politischen und bürokratischen Strukturen und mit den diese Strukturen repräsentierenden Personen muss den beklagenswerten Mangel an geeigneten Ausstellungsmöglichkeiten und die Prekarität des Großteils der Kunstschaffenden in den Kontext weitreichender gesellschaftlicher Verwerfungen stellen. Diese können nicht als ein Berlin-spezifisches Problem behandelt werden, sondern erfordern die Berücksichtigung der politisch-ökonomischen Situation der Künste in anderen Städten und Ländern, nicht nur Europas. Wie ist es möglich, für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen der eigenen lokalen Zusammenhänge zu kämpfen und dabei zugleich die brachialen Einschnitte in die Kulturförderung durch populistische Regierungen wie in den Niederlanden, die Situation von Arbeitsmigranten auf der Baustelle des Abu Dhabi Guggenheim oder die brutale Unterdrückung kritischer Kunstproduktion in Myanmar nicht nur pflichtschuldig anzuprangern, sondern als Krisensymptome zu analysieren, die systemisch mit den »eigenen« Problemen verwoben sind? Wie diese Verwobenheit in einer ökonomisch globalisierten, digital vernetzten und geopolitisch interdependenten Kulturindustrie jeweils wahrgenommen oder ignoriert wird und welche Funktionen man der »Kunst« darin jeweils zuweist, hängt von Wahrheitsregimen ab, die ein politisches Betätigungsgebiet namens »Kulturpolitik« erst hervorbringen. Artur Żmijewski behauptet, die »Kunstinstitutionen« hätten das »Vertrauen« der »KünstlerInnen« eingebüßt. Dagegen ließe sich einwenden, dass »Vertrauen« zwar eine schöne Sache in zwischenmenschlichen Beziehungen sein kann, aber das Verhältnis zwischen Individuen und Institutionen besser politisch, also als Konflikt konzipiert werden sollte. Der Dissens beginnt schon in der Auseinandersetzung über die unterschiedlichen Auffassungen davon, was es eigentlich bedeutet, als KulturproduzentIn und KünstlerIn aufgefordert zu sein, »Kulturpolitik« zu betreiben. Wer fühlt sich berufen? Um welche Interessen geht es dabei? In wessen Namen wird gesprochen, wenn immer wieder pauschal von »den KünstlerInnen« die Rede ist? Anders formuliert: Das Genre »Kulturpolitik« wäre so zu erweitern, dass die Kritik am kulturpolitischen Handeln neoliberaler Bürgermeister die Selbstkritik am Selbstbild und Politikverständnis derjenigen, in deren Namen gesprochen wird, mit einschließt. Dazu würde auch die Frage zählen, wer eigentlich die »Schlüsselfiguren der Berliner und deutschen Kulturszene« sind, die zur (honorarfreien) Abgabe der hier abgedruckten Statements eingeladen wurden. Warum und für wen müssen es immer »Schlüsselfiguren« sein? Und wer entscheidet (und warum), dass jemand als »Schlüsselfigur« in einer Angelegenheit der »Kulturpolitik« betrachtet wird? Mehr Repräsentationskritik, bitte.

 

 

Quelle: P/Act for Art: Berlin Biennale Zeitung

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10. Berlin Biennale