Zitate aus einem Interview mit Lonia Jebnięty (Leo the Fucknut), Mitglied der russischen Gruppe Voina

Dieser Text is eine gekürzte Version des Interviews „Ja, die Wahrheit ist mit uns“, das in der ersten Publikation der 7. Berlin Biennale veröffentlicht wird.

 

 

Lonia Jebnięty (engl.: Leo the Fucknut)

Für mich begann alles am vergangenen Neujahrstag, als ich Oleg und Koza kennenlernte.

Es war der 31. Dezember, und an jedem 31. Tag eines Monats gibt es in Russland Aktionen im Namen des 31. Artikels der Verfassung, der die Versammlungs- und Demonstrationsfreiheit garantieren soll. Es gibt dann Demonstrationen auf dem Triumph-Platz in Moskau, dabei werden zahlreiche Demonstranten von der Miliz verhaftet. Ich kam mit einem Weihnachtsbaum zur Demonstration und wurde mit diesem Weihnachtsbaum festgenommen. Sie versuchten, ihn mir abzunehmen, doch ich schrie, dass ich ihn nicht loslasse. Ich stieg in den Milizbus, knallte den Baum auf den Boden des Wagens und rief: »Frohes Neues Jahr!« Wir hatten dort alles, was die Festgenommenen zur Demonstration mitgebracht hatten: Alkohol, Mandarinen und natürlich den Weihnachtsbaum. Drei Stunden später hat man uns laufen lassen und ich ging das Neue Jahr feiern. Dabei lernte ich Oleg und Koza kennen. Sie erzählten mir, was sie machen, und ich sagte sofort: »Hervorragend, ich mache bei euch mit« – sie waren einverstanden.

 

(...)

 

Wir kaufen kein Essen und zahlen keine Miete. Wir benutzen prinzipiell kein Geld, obwohl Ausnahmen vorkommen. Wir mussten einmal eine Kaution zahlen, damit man uns aus der Haft entlässt. Doch unsere erste Regel lautet: Benutze kein Geld.

 

(...)

 

Die Ursache einer schlechten Regierung ist eine passive Gesellschaft, die ihre Probleme nicht artikulieren und erkennen kann. Zusätzlich agiert der Staat als Zensor und verhindert die Entstehung unabhängiger Massenmedien. Eine politische Deklaration in Form einer künstlerischen Geste löst all diese Probleme im Handumdrehen. Wenn ein Politiker spricht, hört ihm niemand zu. Wenn jedoch wir als Künstler etwas äußern, kommt es sofort an. Die Menschen schätzen unsere Aktionen sehr, unser Handeln erregt sie. So ziehen wir sie auf unsere Seite. Unsere Aktionen sind so brutal und hart, dass uns die Medien nicht übergehen können. Also versuchen sie Informationen zu verfälschen und den politischen Aspekt zu tilgen. Doch das bringt nichts, weil die Politik wiederkehrt. Wenn sich die Medien direkt an uns wenden, dann erklären wir, dass unsere Aktionen politisch sind und ein Skandal nicht unsere Absicht war.

 

(...)

 

Wir agieren direkt, weil das eine Frage der Emotionen ist. Unsere Aktionen sind gleichzeitig Politik und Kunst. Beides ist miteinander eng verflochten. Unterteilungen in reine Kunst und Kunst als aktive Politik sind falsch. Unsere Kunst ist zweifelsfrei eine permanente politische Deklaration. Meine Aktionen haben ihre Wurzeln in Bürgerprotesten. Für einen Aktivisten sind die Politik und die Gesellschaft am wichtigsten. Doch seit ich zu Voina stieß, bestimmt die Kunst als Handlungsform mein Denken. Einige versuchen uns zu verteidigen, indem sie sagen, wir wären Künstler und man dürfte uns deswegen nicht schikanieren. Das ist aber die falsche Haltung. Wir sind nicht deswegen unschuldig, weil wir Künstler sind, gegenüber denen man keine Repressionen anwenden darf, sondern weil wir das Richtige tun. Wir vertreten eine politische und gesellschaftliche Haltung und sind dafür verantwortlich. Wir wollen keine Nachsicht, nur weil wir Künstler sind. Wir vertreten unsere Haltung offensiv. Sobald wir aus dem Gefängnis entlassen wurden, erklärten wir sofort, dass wir weiterhin aktiv sein werden. Also müsst ihr von uns das Unerwartete erwarten. Wir werden nicht fliehen, wir werden handeln, und es wird Kunst sein.

 

Aus dem Polnischen von Marcin Zastrożny

7-berlin-biennale-voina

Kommentare

  1. Harald V Uccello

    Dear VOINA_ thanks for Your thoughts & actions.
    I agree that also the artists have to develop & use their political consciousness in their work
    one question I do have: “whats wrong with money. money has no name on it it. without money we can not survive the hard life & without money no art -whatever & how political it may be- cannot be made.
    I dont mean luxury & wasting money, I mean using it for the most necessary. I dont mean material battle-art etc,
    I mean simple living & working carefully.
    I am surving as an artist active since 1972 with mostly no-budget projects, but some money I always needed to move on, even if it was often not enough to make ends meet.
    best wishes – Peace & Art
    Harald V Uccello http://www.fotyart.org
    , Barcelona 29th of november 2011

  2. Vallie

    Ach was! Letztes Jahr waren Война noch Teil meiner Diplomarbeit und dieses Jahr kuratieren sie die Berlin Biennale mit! Das hätte ich nach der ersten Sichtung ihrer Aktionen (brilliant: “Penis-Brücke”/ «Хуй в плену у КГБ») nicht gedacht… Dürfen sie denn ausreisen??? Huch, die Sowjetzeiten sind ja zum Glück vorbei!
    В сердце с вами! Вы действительно ох…..ные <3

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